Gebiss
Ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Nagetieren und Kaninchen ist
das Gebiss. Bis zu einem Alter von 3 - 5 Wochen verfügen Kaninchen über ein
Milchgebiss mit 16 Zähnen. Gebisse, die aus Milchzähnen und bleibenden Zähnen
bestehen, werden diphyodont genannt. Die großen Schneidezähne haben keine
Milchzahnvorgänger, sondern sind bereits zur Geburt als bleibende Zähne
durchgebrochen, weshalb sie auch in der Zahnformel des Milchgebisses mit
großen Buchstaben angegeben werden.
Die kleinen Schneidezähne des Oberkiefers, auch Stiftzähne genannt, werden
gewechselt. Die Molaren haben keine Milchzahnvorgänger.
Das Milchgebiss verfügt in der oberen Kieferhälfte über 2 große Schneidezähne, 2
kleine Schneidezähne und 6 vordere Backenzähne, in der unteren Kieferhälfte
über 2 große Schneidezähne und 4 vordere Backenzähne. Das bleibende Gebiss
der Kaninchen hat 28 Zähne: in der oberen Kieferhälfte 2 große Schneidezähne, 2
kleine Schneidezähne, 6 vordere Backenzähne und 6 Backenzähne und in der
unteren Kieferhälfte 2 große Schneidezähne, 4 vordere Backenzähne und 6
Backenzähne.
Auf Grund der zusätzlichen Stiftzähne bezeichnet man Lagomorpha (Hasenartige)
als Duplicidentata, während Rodentia (Nagetiere) zu den Simplicidentata gezählt
werden. Kaninchen haben keine Eckzähne (Canini). Der zahnlose, große
Freiraum zwischen den Schneide- und Backenzähnen wird Diastema genannt.
Alle Zähne des Kaninchens sind wurzeloffen - das bedeutet, sie haben eine, zum
Zahnfach hin, offene Zahnhöhle (Pulpahöhle). Die Schneidezähne sind nach
(Krapp, et al., 2003) im Gegensatz zu den Nagern vollständig von
unpigmentiertem (weißem) Zahnschmelz umgeben. Der Zahnschmelz, die
härteste Substanz im Körper, umschließt das weichere Dentin (Zahnbein). Er stellt
ein kristallines Gefüge dar, das viermal so hart wie Dentin ist. Dentin wiederum ist
härter als Knochen.
Die Schmelzschicht auf der äußeren Seite ist dicker als auf der inneren,
Mundhöhlenseite, wodurch sie stärker abgenutzt wird. Somit entsteht eine scharfe
Schneidkante, die ein Nagen und Zerteilen der Nahrung ermöglicht. Im Schmelz
der oberen Schneidezähne befinden sich längs Furchen. Funktion Kaninchen
verfügen über ein so genanntes Scherengebiss, das heißt, die Schneidezähne
treffen normalerweise nicht aufeinander, sondern laufen aneinander vorbei. Das
Zerteilen der Nahrung erfolgt durch seitliche Unterkieferrotationen durch
Schneiden und nicht durch Nagen. Nach dem Zerteilen wird die Nahrung mit der
Zunge über das Diastema (Zahnzwischenraum) zwischen die Backenzähne
geschoben und dort zerrieben.
Die mahlende Reibbewegung der Backenzähne wird durch das Schlittengelenk
möglich, das Verschiebungen des Unterkiefers nach vorn und zurück zulässt. In
der englischsprachigen Literatur findet sich für diese mahlenden Kaubewegungen
oft der Begriff “masticate”, zu Deutsch “mastizieren”, was diese Prozedur
eigentlich treffend beschreibt. Der Begriff kommt ursprünglich aus der
kautschukverarbeitenden Industrie und beschreibt den Prozess des Knetens von
Kautschuk und die damit verbundene Zerkleinerung/Abbau der Struktur durch das
Brechen von Molekülketten. Dadurch wird der Kautschuk weicher und lässt sich
besser weiterverarbeiten. Im Prinzip passiert beim Kauprozess das Gleiche: die
langfaserige Struktur der Pflanzen wird durch das Kauen und Mahlen zwischen
den Backenzähnen abgebaut, also zerkleinert.
Die Zähne wachsen ein Leben lang pro Woche bis zu 2 mm und müssen also in
dem Maße, wie sie wachsen, auch abgenutzt werden. Dies geschieht
hauptsächlich durch die mahlenden Bewegungen und dem damit verbundenen
Abrieb der Zähne an ihren jeweiligen Gegenstücken im gegenüberliegenden
Kiefer, außerdem durch, in Pflanzen enthaltene, Substrate wie Silikate. Diese sind
die Grundbestandteile von Sand und wirken entsprechend wie Sandpapier. Sie
werden von der Pflanze über das Grundwasser aufgenommen. Bereits seit
längerer Zeit wird darauf hingewiesen, dass Kaninchen kein Holz oder Ähnliches
für den Abrieb der Zähne benötigen, weil sich diese an den Pflanzen und durch
den gegenseitigen Kontakt abnutzen (Harkness, 1987).
Einen weiteren Einfluss auf die Abnutzung der Zähne bildet die Konsistenz des
Futters - damit ist die Zusammensetzung in Hinsicht auf die Art und Qualität der
Rohfaser, des Wassergehaltes, der Partikelgröße usw.. Dieser Einfluss lässt sich
zum Beispiel aus der Kaufrequenz ermitteln. Diese resultiert aus der Anzahl der
Kaubewegungen pro Minute. Je höher diese Frequenz, umso höher ist der
Zahnabrieb. Die Kaufrequenzen für Heu und Löwenzahn sind etwa gleich, für
Gras liegen sie deutlich höher.
Nach (Hörnicke, 1978) kauen Kaninchen stets nur einseitig, und zwar meist
mehrere Tage auf derselben Seite, danach wird auf die andere Seite gewechselt.
Durch die mahlenden Kaubewegungen der Backenzähne werden diese und die
Schneidezähne abgenutzt. Die oberen und unteren Schneidezähne weisen
unterschiedliche Wachstums- und Abnutzungsraten auf, welche wohl aus ihren
Funktionen resultieren: die oberen Schneidezähne dienen hauptsächlich als
Widerlager zum Einschlagen und Festhalten der Nahrung, während die unteren
Schneidezähne dem eigentlichen Schneiden der Nahrung und dem Nagen dienen.
Vergleicht man die Kauzeiten für die Aufnahme von Gras und Heu, stellt man
zunächst fest, dass sie zum Teil relativ gleich sind, jedoch für Heu auch sehr lang
sein können. Wenn ein Tier mit einem Gewicht von etwa 2kg die, für die Deckung
seines Bedarfs, nötigen 80g Trockenmasse aus dem Heu frisst und für 1g fast 18
Minuten braucht, bedeutet das, es benötigt insgesamt 24 Stunden, um diesen
Bedarf zu decken. Damit ist aber nur die Masse berücksichtigt. Im Heu fehlen
jedoch sehr viele Nährstoffe, die es noch anderweitig aufnehmen müsste – aber
dafür hat hätte es gar nicht mehr die Zeit. Zum Schlafen, Ruhen, Putzen,
Sozialkontakte pflegen etc. hat es auch keine Zeit mehr, weil der Tag nun einmal
nur 24 Stunden hat. Wenn Halter meinen, ihr Tier frisst „wie verrückt“ Heu, weil es
ihm besonders “schmecken” würde, darf man also von einem schwerwiegenden
Irrtum ausgehen.
Einige Informationen im Zusammenhang mit dem Gebiss finden sich in
meinem Blog, weil sie für eine Webseite zu umfangreich sind:
Das retrograde Zahnwachstum beim Kaninchen. Teil 1
Das retrograde Zahnwachstum beim Kaninchen. Teil 2
Das retrograde Zahnwachstum beim Kaninchen. Teil 3
Heu und Zahnfehler
Kaninchen würden Wiese kaufen
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