Kohlenhydrate
Ein großer Nachteil der Weender Futtermittelanalyse ist die fehlende Analyse der
Kohlenhydrate. Diese finden sich indirekt in zwei Rohnährstoffgruppen: in der
Rohfaser (Rfa) und in den Stickstofffreien Extraktstoffen (NfE).
Die Moleküle einfacher Kohlenhydrate können rasch aufgespalten und verwertet
werden, wodurch sie als Energieträger schnell verfügbar sind. Je komplexer ein
Kohlenhydrat, umso länger dauert die Aufspaltung und umso länger hält ein
Sättigungsgefühl an. Sie sind fast vollständig verdaulich.
Nichtstruktur-Kohlenhydrate (wasserlöslich)
Einfachzucker (Monosaccharide, wasserlöslich, süß)
•
Glucose
•
Fruktose
Zweifachzucker (Disaccharide, wasserlöslich, süß)
•
Saccharose (Rübenzucker bzw. Rohrzucker → Glukose + Fruktose)
•
Laktose (Milchzucker → Glukose + Galaktose)
•
Maltose (Malzzucker → Glukose + Glukose)
Vielfachzucker (Oligo- und Polysaccharide, schwer bis unlöslich in Wasser, süß bis
geschmacksneutral)
•
Amylose (Bestandteil der Stärke)
•
Amylopektin (Bestandteil der Stärke)
•
Glycogen (u. a. in Pilzen)
•
Fruktan (z. B. Inulin), Galactooligosaccharide (Speicherkohlenhydrate in
Pflanzen)
Struktur-Kohlenhydrate sind für Kaninchen schlecht bis unverdaulich. Einige
verfügen jedoch über eine physiologische Bedeutung in der Form, dass sie eine
Schutzschicht für die Darmwand bilden, die das Anhaften pathogener Keime
verhindert.
Struktur-Kohlenhydrate (schwer bis unlöslich in Wasser)
•
Pektin
•
Hemicellulose
•
Cellulose
Zucker
In der Ernährung wird oft für alles, was süß schmeckt, einfach nur der Begriff
„Zucker“ benutzt. Eigentlich handelt es sich dabei um einen Stoff, der hauptsächlich
aus Saccharose besteht. In der Weender Analyse werden Zucker und Stärke nicht
einzeln, sondern innerhalb der Gruppe der „Stickstofffreien Extraktstoffe“ (NfE)
erfasst. In der Analyse nach van Soest gehören sie zum Organischen Rest und
werden erst durch weitere Analysen getrennt ermittelt. Abgebaute, lösliche
Kohlenhydrate werden als Monosaccharide im Dünndarm absorbiert. Bei einer
Störung des Aminosäuren-Stoffwechsels können aber leicht verdauliche
Kohlenhydrate auch in den Dickdarm gelangen, weil deren Absorption im Dünndarm
gestört ist. Das kann wiederum zu einer starken Vermehrung von Bakterien führen,
die im Dickdarm bzw. Blinddarm siedeln. In Zusammenhang mit der Herstellung von
Silage werden unter Zucker jene wasserlöslichen Kohlenhydrate verstanden, die von
Milchsäurebakterien genutzt werden können (Weißbach, 1993). In (Souci, et al.,
2000) werden energetisch verwertbare Mono-, Oligo- und Polysaccharide wie
Glucose, Fructose, Saccharose, Laktose, Maltose, Dextrin und Stärke sowie
Zuckeralkohole wie Sorbit, Xylit und Glycerin als „verfügbare Kohlenhydrate“ in
einem Wert zusammengefasst. Gelegentlich werden in verschiedenen
Literaturquellen unter dem Begriff „Zucker“ all jene Kohlenhydrate zusammengefasst,
die von körpereigenen Enzymen und Darmbakterien bis hin zu Einfachzuckern
abgebaut werden können. Prinzipiell verfügen in absteigender Reihenfolge Obst,
Gemüse und Kohl sowie Salate über die höchsten Zuckerwerte, gefolgt von Kräutern
und Gräsern.
Stärke
In Pflanzen liegt Stärke entweder in Knollen oder Samen vor. Sie dient den Pflanzen
als Speicher überschüssiger Energie. Stärke ist ein Polysaccharid, das durch
Verdauungsenzyme wie Speichel- und Pankreasamylase zu Zweifachzuckern
aufgespalten wird. Diese werden dann durch das Enzym Maltase zu Einfachzuckern
abgebaut, die durch die Darmwände in den Blutkreislauf gelangen. Stärke liefert
neben Zucker und Fett den höchsten Beitrag zur Energieversorgung des
Organismus. Die Wirkung der Amylase kann man selbst einfach ausprobieren, indem
man ein Stück Brot lange kaut. Mit der Zeit wird die Masse im Mund süß – ein leicht
nachvollziehbares „Experiment“ zum Nachweis des enzymatischen Abbaus der
Stärke zu Zucker durch die Amylase im Speichel.
Stärke ist vor allem in Getreide, Brot, Kartoffeln und Wurzelgemüse, aber auch in
den Samen von Süßgräsern, die einen Teil der Nahrung der Kaninchen bilden,
enthalten. Für Jungtiere bis zu einem Alter von 8 Wochen kann Stärke ein Problem
darstellen, weil sich die Enzymtätigkeit mit dem Wachstum entwickelt. Muss die
Nahrung auch noch wenig gekaut werden (z. B. Pellets), kann unverdaute Stärke in
den Blind- und Dickdarm gelangen und dort für Bakterien und Parasiten den
Nährboden bilden, auf dem sie sich übermäßig vermehren können. Für kleine
Kaninchen, die in Wohnungen gehalten werden, sind stärke-haltige Futtermittel in
größeren Mengen nicht zu empfehlen, da sich die Tiere nicht wie in ihrer natürlichen
Umgebung ausreichend bewegen. Sie neigen deshalb sehr schnell zu Fett-ansatz. In
einigen Pflanzen wird die Funktion der Stärke durch „Fruktan“ übernommen.
Kaninchen sind, ähnlich wie manche Nagetiere, offensichtlich in der Lage, die
Qualität von Stärke in Bezug auf die Zusammensetzung geschmacklich zu
unterscheiden. Diese Fähigkeit unterscheidet sie von menschlichen und
nichtmenschlichen Primaten. Vermutet wird eine evolutionäre Anpassung an ihre
Ernährungsgewohnheiten. Stärke ist das häufigste Kohlenhydrat in den vegetativen
Pflanzenteilen und stellt somit eine Hauptquelle für die Stoffwechselenergie für
generalistische Pflanzenfresser wie Kaninchen dar (Laska, 2002).
Im Schnitt verfügen Gemüse und Salate gegenüber Wiese bzw. Wiesenpflanzen
über den vierfachen Gehalt an Zucker. Wählt man nur bestimmte, beliebte
Gemüsesorten aus, läge dieses Ungleichgewicht noch sehr viel höher. Möhre hat z.
B. einen fast achtmal höheren Zuckergehalt als Wiesenpflanzen.
Erweiterte Analyse nach Van Soest
Eine Unterscheidung der Kohlenhydrate in der Futtermittelanalytik findet erst durch
die Methode nach van Soest statt. Sie trennt diese in „Neutrale Detergenzfaser“
(neutral detergent fibre = NDF) und „Nichtfaser-Kohlenhydrate“ (non fibre
carbohydrats = NFC). NDF liefern somit den schwer- und unverdaulichen, NFC den
gut bis komplett verdaulichen Anteil an Kohlenhydraten. Lösliche Kohlenhydrate
können bis zu Einfachzuckern abgebaut werden, die über die Darmwand und das
Blut den jeweiligen Organen zugeführt werden. Das Lignin, welches in der
„Rohfaser“ enthalten ist, gehört nicht zu den Kohlenhydraten.
Seit den 1960er Jahren arbeitete der amerikanische Professor Peter J. Van Soest mit
verschiedenen Mitarbeitern an einer besseren Beurteilung und Analysemethode für
Futtermittel, mit der die einzelnen Fraktionen von Pflanzenfasern, also die
Gerüstsubstanzen von Pflanzen, exakter zu bestimmen waren. Heute ist die
„Detergenzienanalyse“ nach (Van Soest, 1967), welche um weitere Analysen
erweitert werden kann, weltweit eine etablierte Methode. Auch sie ermittelt zwar nur
Gruppen verschiedener Kohlenhydrate und Lignin. Diese haben sich aber als
wesentlich für die Beurteilung der Verdauung und Ausnutzung der Nahrung und
somit der Gesunderhaltung von Tieren erwiesen.
Gegenüberstellung der Weender Futtelmittelanalyse (links) sowie der erweiterten
nach Van Soest (rechts) am Beispiel von frischer Luzerne
Die rechte Säule zeigt die Unterscheidung der “Rohfaser” und “Stickstofffreien
Extraktstoffe” aus der Weender Analyse in “ADL”, “Cellulose”, “Hemicellulose” sowie
“NFC” (Non-fibre-Carbohydrates) bzw. auf Deutsch die “Nichtstruktur-
Kohlenhydrate”. Diese werden vom Organismus komplett verwertet (”verdaut”).
Grob vereinfacht lässt sich feststellen, dass Cellulose und Hemicellulose den
Bakterien im Dickdarm als Nahrung dienen, die NFC dagegen im Dünndarm mittels
Enzymen verwertet werden.
Lignin (ADL) ist kein Kohlenhydrat und für das
Kaninchen uverdaulich.
Untersuchungen haben gezeigt, dass das Verhältnis
der “Rohfaser” zu den eigentlichen Gerüstsubstanzen
von der Art des Futters, bzw. von der botanischen
Spezies abhängt. Das heißt, eine Umrechnung des
Gehaltes an Gerüstsubstanzen (NDF) in Rohfaser ist
nicht möglich bzw. nicht zulässig (Gruber, 2009).
Links sind die Gruppen der erweiterten Weender
Futtermittelanalyse, auch Detergenzienmethode nach
Van Soest genannt, dargestellt.
“NDF” umfasst den gesamte Gehalt an
Gerüstsubstanzen von Pflanzen, bestehend aus Lignin
(ADL), Cellulose (C) sowie Hemicellulosen (HC).
“ADF” enthält das Lignin (ADL) sowie Cellulose (C).
Die Gruppen existieren nicht strikt getrennt, sondern
könne auch als Verbund von z. B. “Lignocellulose”
vorliegen.
Die Differenz aus NDF-ADF ergibt den Gehalt an Hemicellulosen, die Differenz aus
ADF-ADL den von Cellulose.
Als dunkelbrauner Balken ist links neben der Säule der Van-Soest-Analyse als
Vergleich der Gehalt an “Rohfaser” (Rfa) dargestellt.
Das folgende Diagramm zeigt Analysewerte der Detergenzienmethode nach Van
Soest von verschiedenen Futtermittel, links sind noch einmal als dunkelbraune
Balken die Rohfaserwerte der Weender-Futtermittelanalyse dargestellt
Um zu verdeutlichen, worin das Problem der alten “Rohfaser”-Werte im Vergleich zur
Detergenzienmethode nach Van Soest besteht, sei ausschnittsweise auf die Werte
der “Empfehlung” und “Gemüse” (Mittelwert aus Kohlrabi, Möhre, Knollensellerie,
Quelle: Polowinsky, 2008) eingegangen. Die “Empfehlung” spiegelt im Prinzip fast
die Zusammensetzung der Nährstoffegruppen der natürlichen, arttypischen Nahrung
des Wildkaninchens.
•
Die Empfehlung zwischen Rohfaser und den NDF
(Lignin+Cellulose+Hemicellulose) unterscheidet sich um mehr als das Doppelte
(NDF=372 g/kg TS zu Rfa=167 g/kg TS). Das heißt, der Gehalt an
Gerüstsubstanzen, der den Darmbakterien als Nahrung dient, wird mit der
Rohfaser nicht abgebildet. Es fehlen ein Teil der Cellulose sowie komplett die
Hemicellulose.
•
Während der Rohfaserwert vermittelt, zwischen Gemüse und der Empfehlung
würde “nur” ein Unterschied von ca. 22% zum Nachteil des Gemüses bestehen,
beträgt er tatsächlich mehr als 60%, wenn man die gesamten schwer- und
unverdaulichen Gerüstsubstanzen (NDF) berücksichtigt
•
Im Gemüse enthält die Rohfaser fast alle Gerüstsubstanzen, in der
Empfehlung nur einen Teil davon. Die größte Schwäche der Analysemethode:
sie macht den Nachteil von Alternativen wie Gemüse zur arttypischen Nahrung
nicht deutlich. Die NfE der Weende-Analyse enthält eigentlich noch einen
großen Teil an Kohlenhydraten, die für “gute” Blinddarmbakterien wichtig sind,
weil sie ihnen als Nahrung dienen. Im Gemüse bestehen die NfE aber
tatsächlich fast vollständig aus “Zucker”, also aus Kohlenhydraten, die schon im
Dünndarm verwetet werden sollten. Diesen Fakt sieht man erst mit der Analyse
nach Van Soest.
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2022