Calcium & Phosphor
In den letzten Jahren haben sich in der Haltung von Kaninchen Probleme in Form von
Krankheiten entwickelt, die es eigentlich nicht geben sollte. Zumindest sind sie bei
Wildkaninchen weitgehend unbekannt bzw. kommen nur sehr selten vor. Die Rede ist
von Erkrankungen des Gebisses sowie der harnableitenden Organe und Gefäße. Eine
wichtige Rolle dabei spielen Calcium (Ca), Phosphor (P) sowie Magnesium (Mg). Der
Stoffwechsel dieser Elemente wird dabei neben der Menge und dem Verhältnis
zueinander, von verschiedenen Vitaminen, Hormonen und letztlich dem Wassergehalt
beeinflusst.
95% des Calciums liegt im Körper in Kombination mit Phosphor in gebundener Form
in Knochen und Zähnen vor, 1% im Zytoplasma und 4% in gelöster Form als
Calciumionen (Ca++ bzw. Ca2+) im Blutplasma. Nur das ionisierte Calcium ist biologisch
wirksam. Phosphat- und Calciumionen bilden z. B. die Grundlage für „Osteoblasten“,
die für den Zahn- und Knochenaufbau wichtig sind. Calcium ist zudem ein
sogenannter „second Messenger“, weil es Informationen von der Zellmembran in die
Zelle weiterleitet.
Die Aufnahme von Calcium (und Phosphor) erfolgt beim Kaninchen nicht
bedarfsorientiert, sondern entspricht der Menge, die in den jeweiligen Futtermitteln
enthalten ist. Anders als im Fall der Aminosäuren, deren Zufuhr das Kaninchen gezielt
über die Nahrungsaufnahme reguliert, spielt der Calciumgehalt in der
Nahrungsauswahl für das Kaninchen offenbar keine Rolle. Damit ist es an seine
natürliche Nahrung bestens angepasst, denn sie enthält zum Teil recht hohe Mengen
an Calcium, sie ist aber auch sehr wasserreich.
Kommerzielle Futtermittel enthalten ca. 1,20% Calcium und 0,55% Phosphor. Im Bild
der “Sackaufkleber”, also die Deklaration eines pelletierten Alleinfuttermittels für
Rassekaninchen
1,20% Calcium in einem Trockenfutter entsprechen 1,33% in der Trockensubstanz
bzw. 13,3 g/kg Trockensubstanz eines Futters. Empfehlungen für den Calciumgehalt
eines Trockenfutters für Kaninchen geben einen Gehalt von 5-10 g/kg Trockenfutter an
(z. B. Lowe, 2010). Dieser Empfehlung folgen auch deutsche Tierärzte wie z. B.
Böhmer, 2014 und Ewringmann, 2016 in ihren Veröffentlichungen.
Die allermeisten Empfehlungen für Kaninchen gerade im Bereich Ernährung stammen
aus der Mastindustrie und/oder deren Lobbyisten. Sie wurden in der Regel in
Versuchen mit dem Ziel ermittelt, mit möglichst wenig finanziellem Aufwand in kurzer
Zeit Kaninchen auf ein bestimmtes Gewicht zu bringen. Stark vereinfacht dargestellt
werden Tieren in sogenannten "Metabolismuskäfigen" (Stoffwechselkäfigen)
verschiedenste Futtermittel verabreicht und geprüft, wann Schäden am Tier auftreten.
Um das statistisch abzusichern, müssen entsprechend viele Tiere in den zu
untersuchenden Gruppen einbezogen werden.
In der zweiten Ausgabe von „Nutrition of the Rabbit“ stellten Mateos et al., 2010 unter
dem Gesichtspunkt von Nierenverkalkungen fest, dass ein niedriger Phosphorgehalt in
Kaninchenfuttermitteln vorteilhaft wäre. Zu erreichen sei dies aber nur, wenn der
Einsatz einiger phosphorreicher Rohstoffe wie Getreide und Getreide-Nebenprodukten
in Futtermitteln eingeschränkt werde. Es wurde aber festgehalten, dass es sich dabei
um eine Alternative handle, die wirtschaftlich nicht vertretbar sei: Zitat:
"... 1 g phosphorus kg−1, included as dicalcium phosphate in semi-purified diets,
supported growth and bone development in rabbits. In addition, this low level of
phosphorus prevented kidney calcification. Unfortunately, the available information on
phosphorus requirements in rabbits fed commercial diets is scarce. Moreover, in order
to achieve these low dietary phosphorus levels, the inclusion of some raw materials
rich in phosphorus (i.e. grains, grain by-products) in the diet should be limited, an
alternative that might not be economically feasible" (Mateos et al., 2010; Seite 121)
Der niedrige Phosphorgehalt von 1 g/kg bezog sich auf Versuche von Ritskes-Hoitinga
et al., 2004, die mit 4,5% Ca im Futter durchgeführt wurden (bei einer Verdopplung
des Ca-Gehaltes kann sich auch der von Phosphor verdoppeln. Das bedeutet, dass
einige Empfehlungen von Wissenschaftlern, die auch in aktuellsten, deutschen
Veröffentlichungen genutzt werden, nicht unbedingt das Wohl des Tieres im Auge
haben, sondern das kommerzielle Gründe im Vordergrund stehen. Trotzdem werden
sie auch für Heimtiere angewendet.
Es scheint also im Sinn der Kaninchen sinnvoller, deren natürliche Nahrung als
“Empfehlung” für Mineraliengehalte im Futter zu wählen. An diese sind die die Tiere
evolutionär bedingt angepasst und Krankheiten im Zusammenhang mit Ca, P und Mg
sind bei Wildkaninchen deshalb nicht bekannt.
Einen ersten Überblick erhält man, wenn man einen natürlichen Pflanzenbestand
auswählt wie z. B. “Extensivweide”. Diese enthält Gräser sowie Kräuter und wird nicht
gedüngt. Das ist vor allem in Bezug auf Phosphor wichtig. Bezogen auf die
Trockensubstanz enthält Extensivweide im Mittel 11,1 g/kg Calcium, 2,0 g/kg
Phosphor und 2,1 g/kg Magnesium (DLG, 1973).
In den folgenden Balkendiagrammen sind die Gehalte von Calcium, Phosphor als
Stapel angegeben. Das heißt, dass der gesamte Balken alle drei Elemente als Summe
enthält und die verschieden gefärbten Segmente die Gehalte der einzelnen Elemente
(Ca=blau, P=gelb, Mg=grau). Die senkrechte grüne Linie stellt den empfohlenen
Mindestgehalt für Calcium dar. Das heißt, idealerweise geht das blaue Balkensegment
für Calcium bis zu dieser grünen Linie.
Im ersten Diagramm sind Werte für Grünpflanzen, frisches Laub und
Pflanzenbestände abgebildet.
An den beispielhaften werten sihet man, dass nur Wiesenlieschgras (Timotheegras)
und die Intensivweide etwas unter dem Mindestbedarf für Calcium von 5 g/kg TS, alle
anderen Pflanzen deutlich darüber liegen. Der Phosphorgehalt in der Intensivweide ist
ungefähr genauso hoch wie der Calcium, dagegen beträgt er in der Extensivweide nur
ein Sechstel des Calciumgehaltes. Der deutliche Unterschied erklärt sich durch den
Phosphoreintrag mittels Düngung der Intensivweide. Überhaupt sind die
Phosphorgehalte der Grünpflanzen im Verhältnis zu Calcium deutlich niedriger. Der
Quotient aus Ca/P beträgt im Mittel 4,5. In der Literatur findet sich die Angabe eines
Verhältnisses von
Ca : P = 2,0 : 1,5 - 1,0. Im vorliegenden Fall würde im Mittel das Verhältnis Ca : P =
2,0 : 0,7 betragen.
Im folgenden Diagramm sind Kräuter und Salate aufgeführt, die man als Futter kaufen
kann, wenn keine Wiese zur Verfügung steht
Der Calciumgehalt von Broccoli, Fenchelblättern, Chinakohl, Grünkohl, Chicorée und
Eisbergsalat liegt jeweils unter dem Bedarf. Wichtiger ist aber, dass, bis auf
Möhrrübenkraut und Petersilie, die Phosphorgehalte im Verhältnis zu Calcium recht
hoch sind. Im Fall von Romano- und Eisbergsalat sowie Broccoli sind sie höher als der
Calciumgehalt.
Das dritte Diagramm zeigt Obst- und Gemüsefrüchte mit ihren Mineraliengehalten
Auch bei den verschiedenen Früchten lässt sich feststellen, dass die Phosphorgehalte
im Verhältnis zu Calcium sehr hoch sind und der Mindestbedarf zum Teil deutlich
unterschritten wird.
Für eine Vermeidung von Calciumablagerungen in Organen und Gefäßen wird heute
generell geraten, Kaninchen eine calciumarme Kost zu verabreichen. Den Haltern
werden deshalb üblicherweise verschiedene Gemüsesorten aufgezählt, die sie nicht
füttern sollten. Solche Empfehlungen verwundern eigentlich, denn wie bereits
beschrieben, nehmen Kaninchen Calcium generell im Überschuss auf. Im erwähnten
Fall der “Extensivweide” als Mischung aus ungedüngte Gräsern und Kräutern liegt der
Calcium mehr als doppelt so hoch wie die Empfehlung (der Mastindustrie) für
Futtermittel.
Als calciumarme Futtermittel werden von einer bekannten Tierärztin z. B. “Salate,
Gurke und Tomate” bei Urolithiasis empfohlen. Ein Kaninchen mit einem
Körpergewicht von 2,5 kg müsste davon insgesamt 3,84 kg fressen, um nicht im
Gegenzug einen Calciummangel zu erleiden. Natürlich frisst das Kaninchen auch noch
Heu, was es aber nach der Empfehlung auf Grund der hohen Calciummenge nicht
fressen dürfte, zumal es auch noch wenig Wasser enthält.
Aber: die Phosphorgehalte in der arttypischen Nahrung sind relativ gering und liegen
immer unter denen der Calciumgehalte. In einem ähnlichen Verhältnis liegt auch
Magnesium vor, welches als Komplexbildner das Ausfällen von Calciumphosphat
verhindern kann.
Beruhend auf den vorgestellten Fakten empfehle ich deshalb, abweichend von
populären Vorgaben, ein Verhältnis von
Calcium : Phosphor : Magnesium = 2,0 : 0,7 : 0,7 bzw. einen Quotienten aus
Ca/P = 4,5 bei einem Mindestgehalt von 5 g/kg Trockensubstanz Calcium im
Futter.
Diese Empfehlung stellt keine starre Vorgabe dar, denn niemand wird das Futter
seiner Kaninchen entsprechend solcher Werte zusammenstellen, zumal es noch
andere Nährstoffbedarfe zu berücksichtigen gibt. Aus den Diagrammen wird aber
deutlich, dass es bestimmte Futtermittel gibt, die bei dauerhafter Fütterung besonders
riskant sein können, was den Calcium-/Phosphorstoffwechsel unter Beachtung von
ständig nachwachsenden Zähnen oder Urolithiasis angeht.
In meinem Blog sind weitere Informationen zum Thema “Calcium und
Phosphor” zu finden.
Das retrograde Zahnwachstum beim Kaninchen. Teil 2
Das Calcium-Geheimnis
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2022