Selbstmedikation der Kaninchen - Zoopharmakognosie (dieser Beitrag erschien in geänderter Form in der Kleintiernews 40/2018, S. 32-36) Wildkaninchen sind, abhängig von den jeweiligen Umständen, in ihren Lebensräumen den verschiedensten Gefahren ausgesetzt. Neben Krankheiten wie Kokzidiose, bakteriellen und viralen Erkrankungen sind es auch Verletzungen durch Gruppenmitglieder oder Fressfeinden, die ihre Lebenszeit verkürzen können. Für Hauskaninchen stehen normalerweise ein Tierarzt und die (Haus-)Apotheke zur Verfügung, die im Fall einer Erkrankung Linderung und Heilung verschaffen können. Das Wildkaninchen dagegen hat „nur“ die Natur. Die ist allerdings sehr mächtig und nicht wenige Wirkstoffe von Medikamenten, mit denen Erkrankungen zu Leibe gerückt werden, stammen letztlich aus der Natur. Während Haustieren also mit Hilfe des Halters oder dem Tierarzt und ausgesuchter Medikamente geholfen wird, bleiben Wildtiere sich selbst überlassen. Sie müssen sich im Erkrankungsfall selbst mit dem, was die Natur bietet, behandeln bzw. medikamentieren. Diese Form der Selbstmedikation wird „Zoopharmakognosie“ genannt.  In dem folgenden Beitrag soll gezeigt werden, wie man Wildkaninchen identifizieren kann, um sie über einen längeren Zeitraum wiedererkennen zu können und wie sie mit schweren Verletzungen umgehen. Die Informationen sollen nicht dazu verleiten, Hauskaninchen in ähnlichen Fällen auf die beschriebene Art und Weise zu behandeln. Sie können aber durchaus geeignet sein, in Abstimmung mit dem Tierarzt unterstützend Heilprozesse zu fördern. Die Beobachtungen stammen aus zwei Gruppen von Wildkaninchen im Zeitraum 2012-2016. Die zweite Gruppe entstand aus der Abwanderung von Tieren der ersten Gruppe und die Reviere waren nicht strikt getrennt, sondern überlappten sich stellenweise. In den Jahren 2016 und 2017 wurden diese beiden Gruppen fast vollständig durch Myxomatose und (vermutlich) RHD2 ausgelöscht. Einige Tiere wanderten ab und fanden sich später in etwas entfernteren Gruppen wieder. Das Gebiet wird stark durch Hundehalter frequentiert, die ihre Tiere hier ohne Leinenzwang laufen lassen können. Dieser Fakt mag zu den beschriebenen Verletzungen einen Beitrag geliefert haben. Auffällig ist, dass bereits sehr junge Tiere Verletzungen vor allem an den Ohren aufweisen, bei älteren Tieren kommen solche dazu, die nur von Beutegreifern stammen können. Bild 1: Jungtier mit einer Kerbe im oberen Drittel des linken Ohres Bild 2: Jungtier mit Kerbe im linken Ohr Im Mai 2013 fiel mir ein Rammler in einer Gruppe mit einer größeren Verletzung am linken Ohr und zwei kleineren am rechten Ohr auf. Das Tier wurde im Frühjahr 2012 geboren und war zum Zeitpunkt der Aufnahme also ca. ein Jahr alt. Bild 3: Bei dem linken Tier handelt es sich um ein männliches Wildkaninchen mit einer größeren Verletzung des linken und zwei kleineren Verletzungen des rechten Ohres. Das rechte Tier ist ein Weibchen und rechts oben ist ein Jungtier aus einem Wurf der beiden zu sehen Bild 4: Vergrößerung des markierten Bereiches mit den Verletzungen aus Bild 3. Alle waren zu diesem Zeitpunkt komplett ausgeheilt. Bild 5: Eine Aufnahme aus dem Juni 2013 zeigt, dass das Tier eindeutig ein Rammler ist. Beim Putzen sind die Hoden zu erkennen. Dieses Bild ist lediglich eine letzte Bestätigung des Geschlechts, was aber schon früher auf Grund typischer Verhaltensweisen vermutet wurde Bild 6: Das folgende Bild stammt vom Juni 2015 und zeigt noch einmal die drei Verletzungen an den Ohren, anhand derer das Tier über einen längeren Zeitraum immer wieder verlässlich identifiziert werden konnte Bild 7: Die letzte Beobachtung des Tieres stammt vom August 2015. Zu diesem Zeitpunkt war der Rammler ca. 3,5 Jahre alt. Auf Grund der typischen Verletzungen im Zusammenhang mit dem Verhalten und biologischen Merkmalen lassen sich Wildkaninchen über einen längeren Zeitraum immer wieder zuverlässig identifizieren. Auf ganz ähnliche Weise verfolgen z. B. Walforscher Tiere, die sie an den typischen Profilen ihrer Schwanzflossen (Fluken) immer wieder erkennen. Bilder der Fluken werden in Datenbanken gespeichert und ermöglichen durch einen Vergleich immer die zuverlässige Identifizierung über längere Zeit.  Das durchschnittliche Lebensalter für Wildkaninchen, die das erste Jahr überleben, beträgt 2,5 Jahre. Der vorgestellte Rammler war also zum Zeitpunkt der letzten Sichtung mit ca. 3,5 Jahren schon relativ alt. Weitere Beobachtungen des Tieres konnten nicht eindeutig verifiziert werden. Auch Weibchen können in Verbindung mit Verletzungen und weiteren, körperlichen Auffälligkeiten bestimmt und somit ihr Leben über einen langen Zeitraum verfolgt werden. Vor allem in der Fortpflanzungszeit sind sie an dem Fellverlust für den Nestbau, der sich auch später noch durch Verfärbungen im Brustbereich äußert, erkennbar. Bild 8: Weibliches Wildkaninchen mit fehlendem Brustfell, welches für den Nestbau ausgerupft wurde Bild 9: Nachdem sich das Tier etwas gedreht hat, erkennt man ausgeheilte Verletzungen am linken Ohr Bild 10: Wenn man das Tier später beim Sonnenbaden beobachtet weiß man auf Grund der Ohren, dass es sich um ein Weibchen handelt, welches zu diesem Zeitpunkt ca. 2,5 Jahre alt war. Das exponierte Liegen in der Sonne auf warmen, trockenen Sand stellt eine Möglichkeit der „Selbstmedikation“ dar. Parasiten und Bakterien mögen keine trockene Wärme und kein UV-Licht. Tiere nutzen Sandbäder in der Sonne also auch, um lästige Plagegeister loszuwerden. Die folgenden Bilder zeigen die Entwicklung einer Ohrverletzung bei einem Tier bis hin zur Ausheilung. Möglich war diese nur mit den Mitteln der Natur, also ohne Medikamente. Bild 11: Wildkaninchen mit einer Ohrverletzung, aufgenommen am 16.06.2013. Die roten Ränder zeigen eine Entzündung der Wunden. Auffällig ist ein größeres Loch im Ohr. Bild 12: Am 11.08.2013 zeigt sich, dass die Verletzungen verheilen. Das Loch im Ohr ist deutlich kleiner geworden. Bild 13: [013_Male_Rabbit_Ear_03.jpg] Im Frühjahr des folgenden Jahres, am 27.04.2014, sind die Verletzungen ausgeheilt und das Loch wieder vollständig zugewachsen In erster Linie hängt die Gesundung nach einer äußeren Verletzung von deren Schwere und natürlich dem jeweiligen Individuum bzw. seinem grundsätzlichen, gesundheitlichen Zustand ab. Vor allem das Immunsystem spielt dabei eine wichtige Rolle. Üblicherweise werden Wunden in der Haustierhaltung desinfiziert, durch einen Verband abgedeckt oder durch Nähen bzw. Klammern (Tackern) verschlossen. Bei Bedarf erfolgt eine Behandlung gegen Tetanus (Wundstarrkrampf). Dabei handelt es sich um eine Infektion mit dem Bakterium „Clostridium tetani“, dessen Sporen fast überall in der Umwelt vorkommen. Dringen sie in Wunden ein, vermehren sich die Bakterien und sondern Giftstoffe ab, die muskelsteuernde Nervenzellen schädigen und somit zu Krämpfen führen. Eine weitere Folge der Wundinfektion kann eine Sepsis (Blutvergiftung) sein, bei der Bakterien in die Blutbahn eindringen und Organe schädigen. Sowohl Tetanus als auch eine drohende Blutvergiftung werden medikamentös durch Antibiotika behandelt. Antibiotika im engeren Sinn sind Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen, Bakterien oder Streptomyzeten. Letztere kommen in Erde, Staub und Getreide vor. Im weiten Sinn handelt es sich bei Antibiotika auch um synthetische Produkte mit bakteriostatischer oder bakterizider Wirkung. Bakteriostatika verhindern eine Vermehrung der Keime ohne sie abzutöten, während Bakterizide Keime abtöten. Fortsetzung ...  
Kaninchen würden Wiese kaufen
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