Giftpflanzen - Teil 2
Giftpflanzen
(dieser Beitrag erschien in geänderter Form in der Kleintiernews 37/2018, S. 32-36)
„Es gibt eine Reihe von Pflanzen, nach deren Genuss bei Mensch und Tier
Erkrankungen und Todesfälle durch Vergiftung auftreten können. Zu den
bekanntesten gehören Nachtschatten, Tollkirsche, Herbstzeitlose, Kornrade und
Schierling. Während die Gefährlichkeit solcher Pflanzen für den Menschen und
unsere großen Haussäugetiere außer Zweifel steht, sind die Warnungen vor ihrer
Verfütterung an Kaninchen weit übertrieben und die durch sie hervorgerufene Angst
zum großen Teil unbegründet.“ Soweit als Einleitung eine Feststellung von Prof. Dr.
Dr. Ernst Mangold, die seinem Klassiker „Handbuch der Kaninchenfütterung“ aus dem
Jahr 1950 entnommen ist.
Als Pflanzenfresser ist das (Wild-)Kaninchen in seiner natürlichen Umwelt auch mit
Pflanzen konfrontiert, die der Mensch als „giftig“ bezeichnet. Es kennt aber den
Begriff „Gift“ nicht. Es weiß nicht, dass es Versuche mit isolierten Pflanzenstoffen gab,
die in Venen oder in die Bauchhöhle gespritzt und aus denen LD50-Werte abgeleitet
wurden. Tiere unterscheiden zwischen „schmeckt“, „schmeckt nicht“, „nutzt“, „nutzt
nicht“, „schadet“, „schadet nicht“. Dafür stehen ihnen, wie den Menschen,
verschiedene Sinne zur Verfügung. Die wichtigsten für die Nahrungsaufnahme des
Kaninchens stellen der Geruchs- und Geschmackssinn dar. Daneben signalisiert
natürlich der Organismus, ob er z. B. satt ist, eine Nahrungspflanze das Wohlbefinden
stört oder ohne Schaden in bestimmten Mengen gefressen werden kann.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Konzentrat-Selektierern wie Kaninchen und
großen Weidetieren besteht in der Nahrungsauswahl. Während bei Kaninchen ein
großer Teil der Nahrung neben Gräsern auch aus Kräutern sowie dem Laub und der
Rinde von Sträuchern und Bäumen besteht, fressen Pferde und Rinder vorwiegend
und in großen Mengen Gräser. Diese enthalten vergleichsweise wenige kritische,
sekundäre Pflanzenstoffe. Somit reagieren die Weidetiere mit dem großen Anteil von
Gräsern auch empfindlicher auf giftige Pflanzenstoffe. Normalerweise werden aber
auch von ihnen giftige Pflanzen gemieden und erst dann, wenn das Futter auf der
Weide knapp wird, werden sie gefressen. Bei Wiederkäuern wie Rindern, Ziegen und
Schafen helfen Enzyme in den verschiedenen Mägen bei der Entgiftung. Sie gelten
damit als widerstandsfähiger gegen „Giftpflanzen“ als Monogastrier wie z. B. Pferde.
Turček und Stiavnica, 1959 berichteten beispielsweise von einer Population
Wildkaninchen, deren Nahrungspflanzen über 3 Jahre lang anhand von Kotproben
analysiert wurde. Vor allem die Jungtiere richteten unter Kulturpflanzen wie Bohnen
(Phaseolus vulgaris) und Luzerne (Medicago sativa) Schäden an, die sie bevorzugt
fraßen. Der im dortigen Habitat fehlende Anteil an wilden Gräsern wurde durch den
höheren Verzehr von Kulturgräsern (Getreide) wettgemacht. Beliebt waren außerdem
besonders Distelarten auf Grund des hohen Eiweißgehaltes. Insgesamt wurden über
70 verschiedene Pflanzenarten als Nahrung festgestellt. Davon waren 46% Heil-und
Gift-, bzw. ölhaltige und bittere Pflanzen. Kälberkropf (Chaerophyllum spp.), Robinie
(Robinia pseudoacacia), Spindelstrauch (Euonymus europaea), Liguster (Ligustrum
vulgare), Rainfarn (Tanacetum vulgare), Schwarzer Nachtschatten (Solanum nigrum)
sowie Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias) sind nur einige Beispiele für
Pflanzen, die dort von Kaninchen gefressen wurden. Bhadresa, 1987 berichtete u. a.
vom Verzehr von Kriechendem Hahnenfuß (Ranunculus repens) und Jakobs-
Kreuzkraut (Senecio jacobaea), Williams, et al., 1974 konstatierten unter anderem
Knolligen Hahnenfuß (Ranunculus bulbosus) sowie Gefleckten Schierling (Conium
maculatum) als Nahrungspflanzen.
Prinzipiell weisen Kaninchen hohe Toleranzen gegenüber „giftigen“ Pflanzenstoffen
auf, so z. B. gegen das Coniin des Schierlings (Forsyth und Frank, 1993), (Vetter,
2004), das Taxin der Eibe (Ehrenberg, et al., 1913), das Atropin der Tollkirsche
(Hesse, 1923), Robin und Phasin der Robinie (Cheeke, 1987) und Saponinen sowie
Tanninen verschiedener Pflanzen (Cheeke, 1998). Bekannt ist z. B. auch, dass
Kaninchen relativ unempfindlich gegenüber den Pyrrolizidinalkaloiden des
Jakobskreuzkrautes sind (Pierson, et al., 1977).
Eine eindeutige Definition für „Gift“ existiert nicht. Stattdessen werden kritische Stoffe
nach Toxizitätsgraden eingeteilt. Hierbei muss beachtet werden, auf welche Weise
Werte für die Letalität LD50 erlangt wurden und für welche Tierart sie gelten.
Tabelle 1: Toxizitätsgrade einiger Pflanzen nach CliniTox, 2018
Deutsche Bezeichnung
Lateinische Bezeichnung
Toxizität
Schnittlauch
Allium schoenoprasum
giftig
Bärlauch
Allium ursinum
giftig
Taumel-Kälberkropf
Chaerophyllum tenulum
giftig
Liguster
Ligustrum vulgare
giftig
Scharfer Hahnenfuß
Ranunculus acris
giftig
Rainfarn
Tanacetum vulgare
giftig
Gemeiner Spindelstrauch
Euonymus europaeus
stark giftig
Zypressenwolfsmilch
Euphorbia cyparissias
stark giftig
Kirschlorbeer
Prunus laurocerasus
stark giftig
Robinie
Robinia pseudoacacia
stark giftig
Schwarzer Nachtschatten
Solanum nigrum
stark giftig
Tollkirsche
Atropa belladonna
sehr stark giftig
Gefleckter Schierling
Conium maculatum
sehr stark giftig
Jakobs-Kreuzkraut
Senecio jacobaea
sehr stark giftig
Eibe
Taxus baccata
sehr stark giftig
1 Vergiftungssymptome unter speziellen Bedingungen nach Aufnahme großer
Pflanzenmengen
2 Vergiftungssymptome unter speziellen Bedingungen nach Aufnahme kleiner
Pflanzenmengen
Wie bereits angemerkt, stehen den Tieren, ja nach Lebensraum und Saison, die
verschiedensten Pflanzenarten zur Verfügung, die sie für die Fortpflanzung, für die
Aufzucht des Nachwuchses und für das Überleben benötigen.
Bild 1: Wildkaninchengruppe in ihrem natürlichen Lebensraum
Wenn ein Kaninchen nach der Säugephase erst selbst herausfinden wollte, welche
der Pflanzen in der Umgebung des Baus genießbar sind und welche nicht, würde es
wahrscheinlich verhungern.
Bild 2: Ein junges Wildkaninchen im Alter von ca. 12 Wochen bei der Nahrungssuche
In der Wachstumsphase nimmt ein junges Kaninchen bis zur Hälfte seines eigenen
Gewichtes an Nahrungspflanzen auf und wenn es erst einmal jeden Halm und jedes
Blatt auf Verträglichkeit prüfen wollte, würde die Zeit nicht reichen, sich satt zu fressen
und groß zu werden. Also hat die Natur vorgesorgt: die erste Erfahrung mit
potentiellen Nahrungspflanzen sammelt das Kaninchen bereits mit der Muttermilch.
Genauer gesagt handelt es sich eigentlich um verschiedene Pflanzenstoffe, die sich
in der Milch befinden, weil die Mutter die entsprechenden Pflanzen gefressen hat.
Dokumentiert wurde diese Fähigkeit der Kaninchen u. a. von Altbäcker, et al., 1995,
indem an verschiedene Gruppen von Häsinnen jeweils Wacholder und Thymian im
Futter verabreicht und geprüft wurde, was deren Jungtiere später präferierten.
Jungtiere, deren Mütter zusätzlich 10% Wacholder im Futter erhielten, bevorzugten
später auch Nahrung, die Wacholder enthielt. Ebenso favorisierten Jungtiere
Thymian, wenn dieser vorher im Futter der Häsin enthalten war. Im Laufe der Zeit
relativierte sich die Aufnahme des Futters mit den sehr speziellen Inhaltsstoffen im
Vergleich zur Kontrollgruppe, das weder Wacholder, noch Thymian enthielt.
Später kommen natürlich noch die eigenen Erfahrungen und Strategien der Tiere
dazu, welche helfen, bestimmte Pflanzen zu meiden oder zu nutzen. Diese
Handlungsweisen sind entweder angeboren oder werden auf Grund von Erfahrungen
erlernt.
Testen: geht oder geht nicht? Neue bzw. fremde Pflanzen werden erst einmal
probiert, also in kleinen Mengen aufgenommen. Dabei helfen Geruch, Geschmack
und letztlich das körperliche Empfinden. Riecht die Pflanze gut und schmeckt, wird
etwas mehr gefressen. Wirkt sich die Pflanze nicht negativ auf das körperliche
Empfinden aus, wird später mehr gefressen und zählt schließlich zum
Nahrungsspektrum.
Artenverhältnis: die Mischung macht’s. Während einer Mahlzeit werden viele
verschiedene Kräuter und Gras gefressen. Dadurch werden vorhandene Toxine
verdünnt.
Abwechslung: es muss nicht immer das gleiche sein. Manche („giftige“) Pflanzen
werden zyklisch aufgenommen. Das heißt, an einem Tag werden relativ große
Mengen solcher Pflanzen aufgenommen, in den nächsten Tagen gar nicht oder der
Verbrauch ist nur gering. Auf diese Weise können kritische Stoffe zwischenzeitlich
abgebaut werden.
Selektion: neutralisieren toxischer Substanzen. Es werden gezielt Pflanzen
aufgenommen, deren Pflanzenstoffe sich gegenseitig so beeinflussen, dass
Intoxikationen ausbleiben.
Geophagie: „Dreck“ ist nicht immer schädlich. Tiere fressen gelegentlich Erde bzw.
Sand, um toxische Stoffe im Körper zu neutralisieren. Bei Hauskaninchen lässt sich
das auch bei Verdauungsbeschwerden beobachten, wenn Bakterien im Darm
übermäßig Gifte produzieren.
Flüssigkeit: trinken hat nicht immer etwas mit Durst zu tun. Die Aufnahme größerer
Mengen Flüssigkeit verdünnt toxische Stoffe und fördert ihre Ausscheidung mit dem
Urin.
Kauen: nicht nur wegen der Zähne wichtig. Durch intensives Kauen inaktivieren
spezielle Enzyme im Speichel kritische Substanzen wie z. B. Tannine, mit denen sich
Pflanzen vor Fressfeinden schützen.
Die genauen Mechanismen, nach denen die Regulierung der Aufnahme und
Entgiftung funktionieren, sind nach wie vor unbekannt, wenn auch mittlerweile
verschiedene Erklärungsmodelle existieren. Diskutiert werden z. B. zwei Hypothesen,
die jeweils die aufgenommenen Nahrungsmengen mit den entsprechenden
sekundären Pflanzenstoffen sowie die Zeit, die zwischen den Mahlzeiten liegt,
berücksichtigen. Für die erste sind die Nahrungsmenge und die damit verbundene
Plasmakonzentration, das bedingte Lernen und die Aktivierung von Rezeptoren für
Bitterstoffe im Darm entscheidend. Für die zweite Hypothese werden zwei
Mechanismen diskutiert: erstens die Pause der Aufnahme bestimmter Pflanzen bis
zum Absinken der Plasmakonzentration bis zu einer erträglichen Grenze und
zweitens, dass Rezeptoren für Bitterstoffe auf das Sättigungsgefühl einwirken und
somit die Aufnahme stoppen (Torregrossa, et al., 2009).
Die Selektion (nicht die Fähigkeit zur Selektion!) giftiger Pflanzen kann durch widrige
Umstände wie z. B. Nahrungsmangel oder anhaltende Trockenheit außer Kraft
gesetzt werden. Zusätzlich zur selektiven Fressweise existieren Mechanismen, um
mit aufgenommenen, toxischen Substanzen fertig zu werden:
Abwehr: der Organismus reagiert auf „Giftstoffe“ sofort durch Abwehrreaktionen wie
Übelkeit, was eine übermäßige Aufnahme solcher Substanzen wie z. B. der Glycoside
des Roten Fingerhutes (Digitalis purpurea) verhindert
Entgiftung: nach der Aufnahme großer bzw. zu großer Mengen toxischer Substanzen
reagiert der Körper mit Durchfall, um diese so schnell wie möglich aus dem
Organismus zu entfernen. Da dem Kaninchen ein Erbrechen nicht möglich ist, stellt
das die einzige Möglichkeit der schnellen Ausscheidung dar. Eine weitere Möglichkeit
bildet eine effektive Ausscheidung von Urin wie z. B. nach dem Fressen von
Jakobskreuzkraut dar (Swick, et al., 1982). In der Leber existiert ein System
miteinander verwandter Enzyme, die „Cytochrom P450“ genannt werden. Von diesen
werden in einem zweiphasigen Prozess Fremdstoffe wie z. B. Giftstoffe oder
Medikamente wasserlöslich und somit nierengängig gemacht.
Tolerierung: auf Grund der regelmäßigen Aufnahme toxischer Pflanzenstoffe passt
sich der Organismus an diese an. Mikrobielle Anpassungen im Verdauungstrakt oder
die Aktivierung spezieller Enzyme führen zu unterschiedlichen Toleranzen
verschiedener Tierarten oder Individuen innerhalb einer Spezies gegenüber Toxinen.
Anpassung: durch die Bioaktivierung und den Stoffwechsel in der Leber wie z. B. im
Fall der Pyrrolizidin-Alkaloide, die in verschiedenen Korbblütlern, Raublattgewächsen
und Hülsenfrüchtlern vorkommen, können größere Mengen solcher Pflanzen ohne
Schaden aufgenommen werden.
Genetik: evolutionäre Einflüsse auf Grund der speziellen Nahrung mit einem hohen
Anteil von Kräutern und Sträuchern ermöglichen die Aufnahme von Pflanzen für
Kaninchen, die für andere Tierarten giftig sind.
Bei den Angaben zur Giftigkeit von Pflanzen ist es wichtig darauf zu achten, für
welche Tierart diese gelten, denn für Kaninchen sind so gut wie keine Quellen
verfügbar, die eine tödliche Vergiftung bei natürlicher Aufnahme belegen, also nicht
auf Versuche zurückgehen. Im Gegenteil: stattdessen finden sich in der Literatur
Belege dafür, dass Hauskaninchen „Giftpflanzen“ meiden oder solche sogar als
Nahrungspflanzen nutzen.
Der eingangs zitierte Ernst Mangold begründet seine Aussagen zur Fütterung von
„kritischen“ Pflanzen u. a. in folgender Weise:
•
bei Weidetieren gemachte Erfahrungen nach dem Verzehr bestimmter Pflanzen
dürften nicht ohne weiteres auf Kaninchen übertragen werden, weil sie in dieser
Hinsicht fraglos viel weniger empfindlich seien
•
bei vielen "Giftpflanzen sind nur Samen oder Wurzeln giftig, aber nicht die
Blätter und Stängel
•
Wildkräuter werden normalerweise nicht einzeln in großer Menge, sondern als
Gemisch verschiedener Arten gemeinsam mit Gras angeboten
•
Kaninchen verfügen über einen gewissen Instinkt, der sie vor schädlichen
Pflanzen warnt und sie diese meiden lässt, solange anderes Futter vorhanden
ist
•
Einige Giftpflanzen sind im frischen Zustand schädlich, aber nicht als Bestandteil
von Heu, also in getrocknetem Zustand.
Der „Instinkt“ (lat.: instinctus naturae) wird im Duden-Fremdwörterbuch, 2007 definiert
als: „angeborene, keiner Übung bedürfende Verhaltensweise u. Reaktionsbereitschaft
der Triebsphäre, meist im Interesse der Selbst- und Arterhaltung (bes. bei Tieren)“.
„Instinktiv“ wird zwar oft mit einem bestimmten Verhalten in Verbindung gebracht,
lässt sich aber ohne weiteres auch auf die Ernährung übertragen, denn bestimmte
Sinnesempfindungen sind nun einmal gegeben, also eine ererbte Befähigung des
Reagierens auf bestimmte Pflanzeninhaltsstoffe. Ergänzt werden diese durch
individuelle und erlernte Fähigkeiten sowie natürliche Reaktionen des Organismus.
Haustieren, auch Kaninchen, werden heute oft bestimmte Fähigkeiten der Sinne
abgesprochen, weil sie im Lauf der Domestikation verloren gegangen wären. Das
dem nicht so ist, wurde in vielen Versuchen nachgewiesen – alle Erkenntnisse, über
die wir heute z. B. über den Geschmackssinn von Kaninchen verfügen, gehen auf
Erkenntnisse zurück, die mit Laborkaninchen ermittelt wurden.
Daneben gab es auch Versuche z. B. mit der Verfütterung von Eibe an Kaninchen von
Paul Ehrenberg und Gisbert Freiherr Von Romberg, 1913. An jeweils 2
Albinokaninchen (1,5 kg Körpergewicht) und 2 Graukaninchen (4 kg Körpergewicht)
sollten Literaturangaben über die Giftigkeit der Eibe überprüft werden. Dafür erhielten
die Tiere zusätzlich zum Grundfutter einen „Kuchen“, der aus Erdnussmehl und
Kartoffelsirup bestand: „Da vorausgesehen wurde, dass sie die bloßen Eibennadeln
nur widerwillig aufnehmen würden, und mit Hunger möglichst wenig Zwang ausgeübt
werden sollte, so war der Kuchen bestimmt, später die Eibennadeln zu verdecken.“
Insgesamt nahmen die 2 Albinokaninchen über einen Zeitraum von 13 Tagen eine
Menge von 126,8 g Eibennadeln auf, wobei die Menge über den Zeitraum zu- und
später wieder abnahm, bis sie die mit „Kuchen“ kaschierten Eibennadeln gänzlich
verweigerten. Jedes Tier nahm also im Schnitt 5 g Eibennadeln pro Tag auf. Beide
blieben während und nach der Verfütterung von Eibe gesund.
Von den beiden Graukaninchen (vermutlich Abkömmlinge des „Landkaninchens“) fraß
eines in 15 Tagen 149,25 g Eibennadeln (ca. 10 g/Tag), das zweite 65,75 g (ca. 4,4
g/Tag). Beide Tiere nahmen die Eibennadeln nur widerwillig auf, was, wie eine
Nachfrage beim Züchter ergab, auf Verwöhnung durch gutes Futter zurückgeführt
wurde. Beide Tiere waren während und nach den Versuchen gesund. Durch die
spätere Verweigerung der, mit Kartoffelsirup kaschierten, Nadeln nahm allerdings das
Tier mit dem höheren Verzehr im Lauf des Versuches 270 g ab. Da die Tiere aber am
Anfang „eher fett zu nennen waren, so hat ihnen, wie auch ihr Benehmen und ihre
Kraft zeigte, die geringere Nahrungsaufnahme bis zum Schluss des Versuchs in
keiner Weise Schaden getan.“.
Es zeigte sich also in diesen Versuchen, dass die Kaninchen
1.
nur ungern Eibennadeln fressen,
2.
individuell sehr unterschiedliche Mengen Eibennadeln aufnahmen und
3.
selbst bei den freiwillig aufgenommenen Mengen kein Unwohlsein zeigten.
In der Datenbank CliniTox, 2018 wird die Eibe (Taxus baccata) als „sehr stark giftig
+++“ angegeben und für Kaninchen eine minimale letale Dosis von 0,7 g Nadeln/kg
Körpergewicht oder 1,75 g Nadeln/Tier p.o. (p. o. = per os = über das Maul) vermerkt.
Das heißt, theoretisch hätte kein einziges Tier in den Untersuchungen von Ehrenberg
& Von Romberg überleben dürfen. Die größte, aufgenommene Menge Eibennadeln
betrug bei den Albinokaninchen 9 g/Tier/Tag (Mittelwert aus 18 g für beide Tiere) und
20 g/Tag für ein Tier der Graukaninchen. Die bei CliniTox angegebene minimale letale
Dosis bezweifle ich allerdings nicht nur wegen der beispielhaft erwähnten Versuche,
sondern auch aus eigenen Beobachtungen unserer Tiere, die sich gelegentlich an
einer Eibe auf dem Grundstück bedienten, ohne Schäden davon zu tragen.
Von Habermehl und Ziemer, 1999 wurde eine letale Dosis für Kaninchen mit 20 g
Nadeln/kg KM angegeben. Das entspricht der rund zwölffachen Menge, wie sie in der
Datenbank CliniTox angegeben wird.
Bild 3: In dem Bild sieht man die Menge von 40 g Eibennadeln im Vergleich zu einem
Apfel, die ein Kaninchen mit einem Körpergewicht von 2 kg aufnehmen müsste, um
die von Habermehl und Ziemer angegebene letale Dosis zu erreichen
Nun sollen weder Versuchsergebnisse, noch eigene Beobachtungen den
Kaninchenhalter dazu verleiten, Eibennadeln als normales Kaninchenfutter
anzusehen und entsprechend an die Tiere zu verfüttern. Fakt bleibt, dass sie
Alkaloide wie Taxin enthalten, die, in welchen Mengen auch immer und unter
bestimmten Umständen auch Kaninchen schaden können. Wenn auch ein Nachweis
für „normale“ Umstände fehlt. Tiervergiftungen sind in aller Regel dann zu
konstatieren, wenn:
•
Tiere krank sind,
•
die Fütterung einseitig ist (geringe Artenvielfalt),
•
kritische Pflanzen nur gemeinsam mit anderen, nicht schmackhaften und
unverdaulichen zur Verfügung stehen,
•
kritische Pflanzen in der angebotenen Nahrung überwiegen und/oder
•
zu wenig gefüttert wird, die Tiere also hungern.
Zusammenfassung
Kaninchen sind offensichtlich nicht so empfindlich gegen verschiedene „giftige“
Pflanzenstoffe, wie häufig angenommen. Eine selektive Futteraufnahme und spezielle
Mechanismen des Organismus bilden für das Kaninchen einen effektiven Schutz vor
kritischen Inhaltsstoffen von Pflanzen, die gemeinhin als „giftig“ angesehen werden.
Ein sachlicher, unaufgeregter Umgang mit Informationen kann auch in der
Haustierhaltung dazu beitragen, dass Kaninchen nicht zu einseitig ernährt werden,
denn manche der mittlerweile „verteufelten“ Pflanzen wissen sie durchaus auch für
sich zu nutzen. Trotzdem soll der Beitrag keine Anleitung zur Verfütterung der
dargestellten kritischen Pflanzen darstellen, sondern zu einer objektiven Betrachtung
verschiedener Darstellungen anregen.
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2022