Qualzucht & Evidenz
Definitionen
Eine “Population” ist “im biologischen Sinn die Menge der Tiere einer Spezies mit einem
gemeinsamen Genpool bzw. die Gesamtheit fortpflanzungsfähiger Individuen, die Träger
bestimmter Erbanlagen sind und einen speziellen Phänotyp aufweisen. Die phänotypische
Struktur der Population wird vom Genotyp der Tiere und von den herrschenden und sich
verändernden Umweltverhältnissen (z. B. Haltung, Ernährung) bestimmt. Merkmale sind z. B.
Geschlechterverhältnis, Altersstruktur, Phänotypenhäufigkeit und andere Statistiken”
(Wiesner & Ribbeck, 2000).
Der “Phänotyp” ist das “Erscheinungsbild eines Lebewesens, welches aus dem
Zusammenwirken der Erbanlagen (Gene) und der Umweltbedingungen entsteht” (Meyers,
1999).
Unter einer “Rasse” versteht man eine “Gruppe von Individuen einer Art, die sich in
bestimmten Merkmalen von anderen Individuengruppen unterscheiden und diese
Merkmalsvariation vererben. Haustierrassen sind konventionell von Zuchtorganisationen
festgelegt und schließen Änderungen durch Selektion ein” (Wiesner & Ribbeck, 2000).
Ein “Individuum” ist ein Einzelwesen mit seinen jeweiligen Besonderheiten als Vertreter
einer Spezies.
Populationen
Nutztiere (ZDRK)
Nach Informationen des “Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter” (ZDRK)
existieren in Deutschland ca. 160.000 Rassekaninchenzüchter, die 20 bis 50 Kaninchen pro
Rasse innerhalb eines Zuchtjahres aufziehen, wobei es bei durchgezüchteten Rassen auch
deutlich weniger Tiere sein können. Man könnte also als vorsichtige Schätzung annehmen,
dass in der organisierten Rassekaninchenzucht in Deutschland ein Bestand von etwa
2.400.000 Tieren existiert (160.000 Züchter x 15 Tiere).
Innerhalb der „Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung“ (BLE), die u. a. für das
BMEL tätig ist, findet sich die "Zentrale Dokumentation Tiergenetischer Ressourcen in
Deutschland“ (TGRDEU). Diese erfasst und dokumentiert Zuchttierbestände seit 1997. Die
Daten bilden die Grundlage für die Beurteilung der Entwicklung der tiergenetischen
Ressourcen in Deutschland. Der “Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen” stellt unter
Berücksichtigung dieser Zahlen den Gefährdungsstatus der einheimischen Nutztierrassen
fest. Die Einordnung in die verschiedenen Kategorien der Gefährdung wird regelmäßig als
Rote Liste der einheimischen Nutztierrassen in Deutschland veröffentlicht und orientiert sich
an der Anzahl der Zuchttiere und Züchter. In dieser Liste werden Tiere geführt, die in
Deutschland bereits vor 1945 gezüchtet wurden. Sie enthält z. B. auch „stark gefährdete
Rassen“ wie Englische Widder (nach deutschem Standard, 2018) und Meißner Widder. Im
Jahr 2019 wurden 693.671 Kaninchen verschiedener Rassen gemeldet, was rund 30% der
geschätzten Gesamtzahl von 2,4 Mio Rassekaninchen entsprechen würde. Von den
gemeldeten Tieren wiederum waren 120.084 Tiere Widderkaninchen (17%). In der folgenden
Tabelle sind die Top 10 der gemeldeten Tiere/Rasse aufgeführt (TGRDEU, 2019).
Laut Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen über
“Missstände bei der Kaninchenhaltung in Deutschland” (Drucksache 18/7959, 05.04.2016)
schätzten Experten die Zahl der Rasse- und Hobbykaninchenzüchter auf 400.000, von denen
etwa 60.000 Halter ihre Tiere vorwiegend zu Erwerbszwecken halten. Würde man
entsprechend wieder ein Mindestzahl von 15 Tieren/Halter zugrunde legen, beträgt die Zahl
von Kaninchen allein in der Gruppe der Rasse- und Hobbykaninchenzucht theoretisch 6
Millionen Tiere. Dazu kommen noch 58 Großbetriebe, für die keine Statistiken vorliegen.
Heimtiere
Für den Bestand von Heimtieren in Deutschland existieren keine Zahlen, weil er nicht
kontrolliert bzw. erfasst wird. Es existieren auch keine Zahlen für die Zahl der Haushalte, in
denen Kaninchen als reine Heimtiere gehalten werden.
In England existiert die Organisation “People’s Dispensary for Sick Animals” (PDSA), die aus
jährlichen Umfragen die Population von Heimkaninchen in England auf 2% der erwachsenen
Personen schätzt. Im aktuellen Report betrug die Stichprobe 580 befragte Kaninchenhalter
(PDSA, 2023).
Übernimmt man diese 2% für Deutschland mit einer Erwachsenenpopulation von 70.1
Millionen Personen, ergäben das 1.4 Mio Personen mit Kaninchen im Haushalt. Wenn jede
mindestens 2 Kaninchen hält, betrüge die Zahl der Heimkaninchen mindestens 2.8 Millionen.
Aufgerundet existieren somit in Deutschland theoretisch mindestens 3 Millionen
Heimkaninchen.
Auf Grund von Schätzungen lässt sich feststellen, dass in Deutschland in den Bereichen der
Rasse- und Hobbykaninchenzucht ca. 6 Millionen und im Heimtierbereich ca. 3 Millionen
Kaninchen existieren. Zahlen aus Mastbetrieben sowie dem Tierschutz liegen nicht vor. In
Summe kann man in Deutschland somit insgesamt von etwa 9 Millionen Kaninchen in
verschiedenen Haltungen ausgehen (ohne Mast und Tierschutz).
Krankheiten
Es existiert bisher nur eine Studie aus England, die man als repräsentativ für das
Krankheitsaufkommen bei Heimkaninchen bezeichnen könnte. Sie stammt von einem
Autorenkollektiv um O’Neill et al., 2020, das klinische Daten von 6.349 Heimkaninchen
auswertete, die in 107 Tierkliniken vorgestellt wurden.
Aus der Grundgesamtheit von 6.349 Kaninchen wurde eine zufällige Stichprobe von 2.506
Daten gezogen. In dieser verteilten sich die Rassen wie in dem Diagramm dargestellt (Lop =
Widderkaninchen = 32%).
Bild 1: Rasseverteilung der Kaninchen in der Studie von O’Neill, 2020 (n=2506)
Das rote Tortenstück symbolisiert den Anteil von 32% der Kaninchen mit Hängeohren. Die
Verteilung bei Heimkaninchen in Deutschland dürfte ähnlich sein.
In dem folgenden Diagramm sind die Diagnosen für 2.506 Kaninchen in der Studie von
O’Neill, 2020 dargestellt - unabhängig von einem Phänotyp.
Bild 2: Diagnosen für alle Kaninchen in der Stichprobe (n=2.506), aus O’Neill et al., 2020. Das
rote Segment stellt die Diagnose “Otitis” mit einem Anteil von 1% (25 Tiere) dar. Die lila
Segmente verkörpern Diagnosen, die auch ursächlich für das 1% von Otitis sein können.
Während die Prävalenz für Otitis bei 1% lag (rotes Segment), betrug sie für Krankheiten, die
ursächlich für oder beteiligt an Otitiden sein können, insgesamt 27% (lila Segmente). Aus
diesem Grund sollten bei Erkrankungen im Kopfbereich (Augen, Nase, Zähne, Kiefer) auch
immer die Ohren kontrolliert werden. Der Grund für die Übertragung möglicher Keime
beruht auf der räumlich geringen Distanz von Nase, Augen und Kiefer zum Mittel-/Innenohr
und der Eustachischen Röhre (Tuba auditiva), die den Rachenraum mit dem Innenohr
verbindet.
Wenn - theoretisch - von den 25 Tieren mit der Diagnose “Otitis” 80% Widder gewesen
wären, würde das einer Anzahl von 20 Tieren entsprechen (0,7%) - von 2.506 Tieren aus der
Stichprobe.
Die geringe Anzahl von Gehörerkrankungen bei Kaninchen wurde indirekt durch Arbeiten von
de Matos, 2014 und Reuschel, 2018 bestätigt, die klinische Daten von Kaninchen aus
mehreren Jahren für eine statistisch sinnvolle Auswertung sammeln mussten.
Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Heimkaninchen betrug laut einer repräsentativen
Studie in England, unabhängig von einem Phänotyp, 1%. Für Erkrankungen, die ursächlich
für Ohrerkrankungen sein können oder an diesen beteiligt sind, lag die Prävalenz dagegen
bei 27%.
4. Arts et al., 2023 untersuchten in einer Studie aus einer Grundgesamtheit von 2.833
Rassekaninchen auf einer Ausstellung eine Stichprobe von 283 Tieren, darunter 218
Widderkaninchen. Aus der Zusammenfassung: “Diese stammten aus Rassekaninchenzuchten
aus ganz Deutschland und in wenigen Fällen aus dem angrenzenden Ausland und umfassten
alle im ZDRK anerkannte Rassen. Es hat sich gezeigt, dass die Ohren aller Kaninchen in der
Stichprobe frei von Ohrmilben waren. Insgesamt wurden bei 1,41% (4 Kaninchen) der
Kaninchen anatomische Abweichungen des Schädels festgestellt. In der Stichprobe wurden
566 Ohren untersucht. Bei 1,23% (7 Ohren) lag eine geringfügige Anomalie des Gehörgangs
vor. Bei 0,18% (1 Ohr) der in der Stichprobe untersuchten Ohren wurde eine Entzündung des
Gehörgangs gefunden. Ebenfalls bei 0,18% (1 Ohr) der untersuchten Ohren wurde eine nicht
entzündliche Abweichung in der Beschaffenheit des Ohrenschmalzes konstatiert. Abgesehen
von der etwas größeren Menge an Ohrenschmalz konnten keine signifikanten Unterschiede
bei der Gesundheit der Ohren von Widderkaninchen und Kaninchen mit stehenden Ohren
festgestellt werden. Die gefundenen Anomalien sind in ihrer Häufigkeit marginal. Aufgrund
ihrer sehr geringen Häufigkeit ist davon auszugehen, dass es sich dabei sehr wahrscheinlich
um natürlich vorkommende Erscheinungen und nicht um rassetypische oder zuchtbedingte
Auffälligkeiten handelt.” (Arts et al., 2023).
In einer repräsentativen Studie betrug die Prävalenz für entzündliche Ohrerkrankungen bei
Rassekaninchen 0,18%.
5. In einer Studie zum Thema "Zahnerkrankungen" bei Heimkaninchen von Jackson et al.,
2024 wurden die klinischen Daten von insgesamt 161.979 Kaninchen ausgewertet.
In Bezug auf Zahnerkrankungen lag die 1-Jahres-Prävalenz insgesamt bei 15,36%. Die
Prävalenz von Zahnerkrankungen bei Schneidezähnen betrug 3,14% und bei Backenzähnen
13,72%.
Eine etwas ausführlichere Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen:
•
Die Ergebnisse lieferten keine Beweise für ein erhöhtes Risiko von Zahnerkrankungen
bei Rassen mit Hängeohren im Vergleich zu Rassen mit aufrechten Ohren. Dies steht im
Gegensatz zu früheren Untersuchungen, in denen der Körperbau von Hängeohren als
Risikofaktor beschrieben wurde, wobei die Ergebisse in der Arbeit von Johnson & Burn,
20219 aufgrund der geringen statistischen Aussagekraft und der Verallgemeinerbarkeit
einer Studie mit nur 30 Kaninchen aus einer einzigen Auffangstation eingeschränkt
waren.
•
In der Studie konnte auch kein höheres Risiko für Zahnerkrankungen bei
brachyzephalen Kaninchen im Vergleich zu normozephalen Kaninchen nachgewiesen
werden. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu früheren Ergebnissen von Siriporn &
Weerakhun, 2014, die eine 3,19-mal höhere Wahrscheinlichkeit von Zahnerkrankungen
bei kurzköpfigen Kaninchen aufzeigten, obwohl diese Arbeit durch eine unvollständige
Erläuterung der Definition von Brachyzephalie eingeschränkt war, so dass die
Möglichkeit einer falschen Klassifizierung der Schädelform bestand.
•
In der Studie konnte nicht nachgewiesen werden, dass Zwergkaninchen im Vergleich zu
Kaninchen der "Standard"-Größe häufiger an Zahnerkrankungen leiden. Dies stützt
nicht die Theorie von Crossley, 2003, dass Zwergkaninchenrassen eine genetische
Prädisposition für erworbene Zahnerkrankungen haben.
•
Bei kastrierten Kaninchen war die Wahrscheinlichkeit einer Zahnerkrankung 1,38-mal
so hoch als bei intakten Kaninchen, ähnlich wie bei Hunden. Darüber hinaus war die
Wahrscheinlichkeit einer Zahnerkrankung bei männlichen Kaninchen in der aktuellen
Studie 1,23mal höher als bei weiblichen Kaninchen, was frühere Belege für eine starke
Veranlagung von männlichen Kaninchen für Zahnerkrankungen bei Kaninchen
bestätigt.
•
Möglicherweise haben haltungsbedingte Faktoren, die in der aktuellen Studie nicht
bewertet werden konnten, aber möglicherweise über alle Rassen hinweg konstant
sind, einen weitaus größeren Einfluss auf das Risiko von Zahnerkrankungen als
rassespezifische Körperbaueigenschaften. In der bisherigen Literatur wurde
hervorgehoben, dass Ernährung und Unterbringung eine Schlüsselrolle bei der
Entwicklung von Zahnerkrankungen spielen, weil eine unterschiedliche Abrasivität des
Futters und unterschiedliche Kalzium- und Vitamin-D-Konzentrationen die Bildung der
wachsenden Zähne beeinflussen.
•
Die Ergebnisse belegen keine höhere Wahrscheinlichkeit von Zahnerkrankungen bei
hängeohrigen oder brachycephalen Kaninchen im Vergleich zu ihren aufrechtohrigen
oder normocephalen Artgenossen, was die Möglichkeit aufkommen lässt, dass
allgegenwärtige Konformitäts- und Haltungsänderungen, die mit dem Dasein als
Hauskaninchen an sich verbunden sind, den größten Risikoeffekt für Zahnerkrankungen
bei Kaninchen haben. Wenn es spezifische genetische Prädispositionen für
Zahnerkrankungen bei Kaninchen gibt, so sind diese wahrscheinlich komplexer Natur.
Diese Erkenntnisse können Tierärzten dabei helfen, betroffene Kaninchen früher zu
erkennen und eine frühere Behandlung einzuleiten, um Schmerzen und Leiden zu
verringern.
Zusammenfassung - Populationen und Krankheiten
Auf Grund von Schätzungen existieren in Deutschland in den Bereichen der Rasse- und
Hobbykaninchenzucht ca. 6 Millionen und im Heimtierbereich ca. 3 Millionen Kaninchen.
Zahlen aus Mastbetrieben sowie dem Tierschutz liegen nicht vor. In Summe kann man in
Deutschland somit insgesamt von etwa 9 Millionen Kaninchen in verschiedenen Haltungen
ausgehen (ohne Mast und Tierschutz).
Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Heimkaninchen betrug laut einer repräsentativen
Studie in England, unabhängig von einem Phänotyp, 1%. Für Erkrankungen, die ursächlich für
Ohrerkrankungen oder an diesen beteiligt sein können, lag die Prävalenz dagegen bei 27%.
Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Rassekaninchen betrug laut einer repräsentativen
Studie in Deutschland, unabhängig von einem Phänotyp, 0,2%.
Zahnerkrankungen von Heimkaninchen hängen nicht von der Kopf- und Ohrform der Tiere
ab.
Hören
Gräusche erreichen als Schall das Ohr, der über den Gehörgang zum Trommelfell gelangt,
welches den Gehörgang verschließt. Als Trägermedium für den Schall dient die Luft. Der
Hörschall bringt das Trommelfell zum Schwingen. Es steht mit dem Hammer in Verbindung,
der die Schwingungen aufnimmt und an den Amboss und Steigbügel weitergibt. Diese drei
Gehörknöchelchen bilden eine Kette und verstärken das Hörsignal. Der Steigbügel grenzt an
das Innenohr, das aus der Hörschnecke und Gleichgewichtsorgan besteht. Die Energie der
Schallwellen versetzt die Flüssigkeit in der Schnecke in wellenartige Bewegungen, deren
Impulse die Haarsinneszellen erreichen. Diese wandeln die Bewegungsenergie des Schalles in
elektrische Nervenimpulse um, welche vom Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet werden.
Bild 3: Aufbau des Inneren des Ohres bei Kaninchen
Schwerhörigkeit entsteht u. a. durch eine geminderte Weiterleitung des Schalls wie z. B.
durch eine übermäßige Ansammlung von Cerumen (Ohrenschmalz) im Ohrkanal/Gehörgang
oder ein lädiertes Trommelfell. Bei vollständiger Füllung des Ohrkanals mit Cerumen oder
einem Riß im Trommelfell kann es zur Taubheit kommen. Es existieren noch weitere Gründe
für verminderte Hörleistungen wie z. B. das Alter, Krankheiten, Dauerlärm, Medikamente,
Bakterienbefall etc.
Entstünde durch eine Verlegung des Ohrkanals (”Knick”) ein Luftabschluss hin zum
Trommelfell, würde das die Hörleistung stark beeinträchtigen, wenn nicht sogar eine völlige
Taubheit auch bei gesunden Tieren hervorrufen, weil der Schall nicht mehr über die Luft zum
Trommelfell geleitet werden kann. Zudem würde sich das Mikrobiom im Ohr ändern.
Claaßen ermittelte 2004 das Hörvermögen von Kaninchen. Den insgesamt 24
Widderkaninchen standen 70 Stehohr-Kaninchen gegenüber. 19 gesunde Widder wurden mit
55 gesunden Stehohr-Kaninchen verglichen und 5 kranke Widder- mit 15 kranken Stehohr-
Kaninchen (jeweils etwa Faktor 3). Das Alter der Tiere wurde nicht angegeben. Eine seriöse
Auswertung ist auf Grund der großen Unterschiede in den kleinen Tiergruppen nicht
möglich, allerdings wurde deutlich, dass in jeder untersuchten Gruppe (Stehohr- vs.
Widderkaninchen) Tiere von Taubheit betroffen waren (Hörschwelle 110 Dezibel) - auch
gesunde Stehohrkaninchen. Keines der 5 erkrankten Widderkaninchen konnte sehr gut hören
(Hörschwelle -5 Dezibel), was im Vergleich zu 20 erkrankten Stehohrkaninchen aber nicht
aussagekräftig ist.
Auf keinen Fall sind aber die Ergebnisse von Claaßen, 2004 auf Grund der Methodik
(Tierzahl und -auswahl) repräsentativ für einen Vergleich des Hörvermögens von Stehohr-
als auch Widderkaninchen, da weder das Alter noch eventuelle Begleiterkrankungen den
Tieren zugeordnet wurden.
Bild 4: Boxplot zum Vergleich des Hörvermögens von gesunden und kranken Stehohr- und
Widderkaninchen, nach Daten aus Claaßen, 2004
Detektion von Ohrerkrankungen
Ohrerkrankungen bei Kaninchen lassen sich durch verschiedene Anzeichen am Tier
erkennen. Beispielhaft wurden von Richardson et al., 2019 folgende aufgeführt:
•
Kopfschütteln,
•
Kratzen am Ohr,
•
tastbare Schwellungen an der Ohrbasis,
•
mit bloßem Auge sichtbares Material im äußeren Gehörgang,
•
Geruch aus dem Ohr,
•
veränderte Ohrposition,
•
Cerumen (Ohrenschmalz) im äußeren Gehörgang,
•
Kontraktur des Gesichts (Gesichtslähmung),
•
Gleichgewichtsstörungen,
•
Kopfneigung,
•
wahrgenommene Taubheit.
Johnson & Burn, 2019 stellten in ihrer Studie fest, dass Kaninchen mit Ohrerkrankungen
Schmerzreaktion bei der Untersuchung der Ohren zeigten.
Die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo, 2018) veröffentlichte auf Youtube ein Video,
welches die Untersuchung des Ohrkanals eines „Stehohr“- im Vergleich zu einem
„Widderkaninchen“ zeigt, in dem das Trommelfell des Widderkaninchen einsehbar war.
Mit bildgebenden Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Röntgen kann man das
Ausmaß einer Erkrankung oder von Veränderungen darstellen, für eine Diagnose allein sind
sie nach de Matos, 2014 aber ungeeignet. Richardson et al., 2019 sahen eine Klassifizierung
von “Otitis media” ausschließlich mittels CT als Einschränkung der Aussagekraft einer
Diagnose.
Veränderungen im äußeren wie auch inneren Gehörgang müssen nicht zwingend
pathologisch, also “krankmachend” sein. Von de Matos, 2014 wurde die Bedeutung von
subklinischen CT-Veränderungen des Mittelohres bei Kaninchen als nach wie vor unbekannt
beurteilt. In der Untersuchung blieben 13 von 17 Kaninchen mit CT-Veränderungen des
Mittelohres auch später subklinisch und der Grund für die Vorstellung, die Ohrform oder das
Vorhandensein von CT-Veränderungen korrelierten nicht mit dem Fortschreiten der
subklinischen Ohrerkrankung. Der Zeitraum für die Nachverfolgung betrug 2 Monate bis 5
Jahre. Daraus folgt, dass tierärztliche Behandlungsentscheidungen auf Grund einer CT oder
eines Röntgenbildes gut abgewogen werden müssen - ebenso prophylaktische
Behandlungsmethoden wie die Reinigung der Ohren mit diversen Mitteln. Damit kann auch
die gesunde Mikroflora im Ohr im Fall einer nicht entzündlichen Erkrankung gestört werden,
und zwar unabhängig von einer Ohrform.
Arts et al., 2023 stellten in einer Studie an Rassekaninchen fest, dass der, eigentlich runde,
Gehörgang bei der Untersuchung der Ohren von Widderkaninchen durch das Anheben des
Außenohres verengt wird. Weiterhin heißt es: “Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei
Rassekaninchen generell keine Störungen beim Abfluss des Ohrenschmalzes vorliegen. Um
den Abfluss nicht zu stören, sollte eine Reinigung der Ohren nicht zur direkten oder indirekten
mechanischen Einwirkung in Form von Ohrstöpseln oder Ohrstäbchen führen. Diese würden
das Ohrenschmalz in den Gehörgang zurück drücken und diesen unter Umständen
verschließen können. Dies hätte Störungen im Abfluss des Ohrenschmalzes zur Folge, was
negative Effekte auf das Mikrobiom im Ohr haben und unter Umständen zu einer Otitis
führen kann. Um dies zu vermeiden, wurde der ZDRK-Rassestandard, der vorgibt, welche
Körperteile vor einer Ausstellung gesäubert werden müssen, im Nachgang dieser Studie
bereits dahingehend angepasst, dass in Zukunft beim Schaufertigmachen auf eine Reinigung
der Ohrmuschel (nicht Gehörgang) verzichtet wird. Auch andere EE-Verbände könnten
aufgrund der Ergebnisse der Studie ihre eigenen nationalen Rassestandards entsprechend
anpassen, denn bei Rassekaninchen innerhalb Europas gibt es keine Unterschiede.”.
Bei allen Erkrankungen im Kopfbereich des Kaninchens sollten möglichst die Augen, Nase,
Zähne und Ohren immer gemeinsam untersucht werden. Gestützt werden können Diagnosen
durch bakterielle Nachweise, um z. B. die mögliche Herkunft von Erkrankungen abzuklären.
Alter von Kaninchen mit Ohrerkrankungen
In verschiedenen Fallserien war das Alter erkrankter Tiere im Mittel sehr hoch und lag zum
Teil über dem mittleren Sterbealter der Kaninchen in der gleichen Studie. Dieser Fakt betrifft
alle Kaninchen, unabhängig von einem Ohrtyp. Vergleichbare Ergebnisse ergaben sich z. B.
aus Arbeiten von de Matos, 2014, Mäkitaipale et al., 2015, Reuschel, 2018 sowie Johnson &
Burn, 2019.
Beispielhaft betrug in der Studie von O’Neill et al, 2020 das mediane Alter für das 1% von
Ohrerkrankungen (25 von 2.506 Tieren) 5,5 Jahre, das mittlere Sterbealter lag bei 4,3 Jahren.
Das heißt, dass Alter der vorgestellten Tiere mit dem Krankheitsgrund „Gehör“ war höher als
das mittlere Sterbealter in dieser Studie.
Mäkitaipale et al., 2015 stellten fest, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von
Kaninchen in den letzten Jahren gestiegen sei und das es nicht ungewöhnlich wäre,
Kaninchen im Alter von über 10 Jahren anzutreffen, insbesondere bei mittelgroßen Rassen.
Mittelgroße Kaninchen könnten im Alter von sieben Jahren als geriatrisch angesehen
werden, aber Zwerg- und Riesenrassen wiesen eine kürzere Lebenserwartung auf.
Geriatrische Erkrankungen können bei diesen Rassen bereits im Alter von vier bis fünf Jahren
auftreten.
Ein großes Problem in Facharbeiten ist häufig das Fehlen von Informationen über eventuell
vorliegende Begleiterkrankungen. Nicht selten sind Ohrentzündungen mit Schnupfen
und/oder Abszessen im Kopf-/Ohr-Kieferbereich oder Augenerkrankungen verbunden. Bei
älteren Tieren muss zudem geklärt werden, woher sie stammen und wie die Haltung und
Ernährung gestaltet war. Diese Informationen fehlen in vielen Fallstudien/-serien.
Das hohe Alter bei der Feststellung von Ohrerkrankungen wirft grundsätzlich Fragen des
Einflusses der Haltung und Ernährung von Kaninchen auf die Entstehung der Erkrankungen
auf. Diese wären dann vor allem in der Heimtierhaltung und im Tierschutz zu stellen. Ein
besonders hohes Maß an Ohr- und Gebisserkrankungen wurde z. B. von Johnson & Burn,
2019 in einer Tierheimpopulation konstatiert, wobei berücksichtigt werden muss, dass es
wohl häufig ältere und kranke Tiere sind, die dort aufgenommen werden - ein Grund dafür,
warum Ergebnisse aus Studien solcher Populationen nicht repräsentativ sein können.
Bakterien und Pilze (Hefen)
In der Dissertation von Reuschel, 2018 wurde als ein Ergebnis für ohrgesunde und ohrkranke
Tiere beider Ohrformen in Bezug auf Bakterien festgestellt, dass es keine Unterschiede gibt,
weshalb in Auswertungen zur bakteriellen Belastung Stehohr- und Widderkaninchen
zusammengefasst wurden: "Die Mikroflora bei gesunden Stehohrkaninchen und gesunden
Widderkaninchen wies im χ²-Test und im exakten Test nach Fisher keine signifikanten
Unterschiede auf, so dass für weitere Berechnungen diese beiden Gruppen zusammengefasst
wurden. [...] Die pathologische Flora bei einer Otitis externa zwischen Stehohr- und
Widderkaninchen zeigte im χ²-Test und im exakten Test nach Fisher keine signifikanten
Unterschiede. Auch bei einer Otitis media waren keine signifikanten Unterschiede feststellbar.
Daher wurden beide Kaninchengruppen zu jeweils einer Gruppe mit Otitis externa und Otitis
media zusammengefasst." (Reuschel, 2018; S. 137-138)
In der gleichen Arbeit wurde über das Vorkommen von obligat anaeroben gramnegativen
Bakterien berichtet und vermutet, dass dieses auf den "Luftabschluss" in den Ohren von
Widderkaninchen zurückzuführen seien: "Alle positiven Nachweise bei erkrankten Kaninchen
stammten von Widderkaninchen. Dies deutet darauf hin, dass bei Widderkaninchen durch
den Verschluss des Gehörgangs aufgrund der Schlappohren ein Luftabschluss entsteht und
somit ein obligat anaerobes Wachstum ermöglicht wird." (S. 162)
In der Literaturübersicht wurden die beteiligten Anaerobier kurz vorgestellt :
"Fusobakterien sind sporenlose obligate Anaerobier. Sie kommen als gerade Stäbchen, aber
auch in kokkoider oder pleomorpher Form vor. Ihr natürliches Habitat ist die Schleimhautflora
des Wirtes. Beim Tier lösen sie oftmals eitrig-nekrotisierende Entzündungen aus, die häufig
auf endogene Infektionen zurückgehen (AMTSBERG u. VERSPOHL 2015). Beim Kaninchen
kann Fusobacterium nucleatum häufig aus Abszessen isoliert werden (TYRRELL et al. 2002;
MEREDITH 2014)." (aus Reuschel, 2018, S. 28)
"Auch die Mitglieder der Gattung Prevotella sind sporenlose obligate Anaerobier. Sie sind
meist kurze bis kokkoide Stäbchen. Wie Fusobakterien sind sie Bestandteil der
Schleimhautflora und führen daher meist zu endogenen eitrig-nekrotisierenden
Entzündungen (AMTSBERG u. VERSPOHL 2015). Prevotella spp. sind beim Kaninchen an
Abszessen beteiligt (TYRRELL et al. 2002)." (aus Reuschel, 2018, S. 28)
Etwas konkreter ist festzustellen, dass beide Bakterien vor allem in der Mundschleimhaut
vorkommen und an Ober- und Unterkieferabszessen sowie allgemein an Abszessen im
Kopfbereich beteiligt sind. Das heißt, dass die betroffenen Tiere vermutlich an Zahn-
und/oder Kieferabszessen litten und das Vorkommen nichts mit einem “Luftabschluss” zu tun
hatte. Diese Bakterien können über die “Eustachische Röhre” vom Nasen-/Rachenraum in
das Mittelohr wandern und dort entzündliche Krankheiten auslösen.
In einer Arbeit von Quinton et al., 2014 wurde kein signifikanter Unterschied in Bezug auf
Hefen, Bakterien und Entzündungszellen in Ohren von Stehohr- und Widderkaninchen
festgestellt.
In der Studie von Diaz et al., 2020 wurde ebenfalls kein signifikanter Unterschied in Bezug auf
Hefen in Ohren von Stehohr- und Widderkaninchen festgestellt.
Zusammenfassung
In drei unabhängigen Studien wurde festgestellt, dass sich das Mikrobiom in den Ohren
sowohl von kranken als auch gesunden Stehohr- und Widderkaninchen nicht unterscheidet.
Das heißt, dass die Ohrform von Kaninchen keinen Einfluss auf des Mikrobiom hat. Der
Befund des Vorkommens anaerober Bakterien in Ohren von Widderkaninchen stammt aus
nur einer Arbeit und ist wahrscheinlich auf auf Abszesse im Maulbereich dieser Tiere
zurückzuführen.
Literaturverzeichnis
© A. Rühle, 2023
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2023
© A. Rühle: 2008-2024