Giftpflanzen - Teil 1
Bärenklau - Eine der beliebtesten Nahrungspflanzen unserer Kaninchen
(dieser Beitrag erschien in geänderter Form in der Kleintiernews 36/2018. S. 48-53)
Wenn wir unseren Kaninchen frisches Grün von Wiesen als Futter vorlegen, fehlt am
nächsten Tag verlässlich und immer eine Pflanzenart: der Bärenklau (Heracleum
spp). Was viele nicht wissen: Er ist eine der beliebtesten Nahrungspflanzen unserer
Tiere.
Ich werde in Bezug auf Empfehlungen für die Fütterung von speziellen
Wiesenpflanzen immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Aber ist die nicht giftig?“.
Wenn ich pauschal „Nein“ sagen würde, egal welche Pflanze gemeint ist, würde ich
lügen, denn alles, was ein Tier (oder der Mensch) aufnimmt, kann ab einer
bestimmten Menge gesundheitsschädigend sein oder gar tödlich wirken – also giftig
sein. Selbst das Lebenselixier „Wasser“.
In Diskussionen um sogenannte „Giftpflanzen“ gibt es oft zwei strikt getrennte Lager,
die sich gegenseitig einen jeweiligen falschen Umgang mit diesem Thema vorwerfen:
die „Übervorsichtigen“ und die „Verharmloser“. Die Mitte schweigt oft, um nicht einem
dieser Lager zugeordnet zu werden.
Dieser Artikel möchte am Beispiel „Bärenklau“ darüber informieren, wie mit
Informationen über die Giftigkeit bestimmter Pflanzen speziell für das Kaninchen
umgegangen werden kann. Er stellt aber ausdrücklich keine Fütterungsempfehlung
für die verschiedenen, genannten Pflanzen dar.
Was ist eigentlich „Gift“?
Als Gift (althochdeutsch Gabe) wird ein Stoff bezeichnet, der bei Lebewesen über ihre
Stoffwechselvorgänge, durch Eindringen in den Organismus ab einer bestimmten
Menge einen Schaden zufügen kann. Mit der Zunahme der Expositionsmenge eines
Wirkstoffes steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Gesundheitsschädigungen durch eine
Vergiftung auftreten. Somit kann davon ausgegangen werden, dass ab einem
bestimmten Dosisbereich nahezu jeder Stoff als giftig (toxisch) einzustufen ist.
Das Deutsche Reichsgericht beschäftigte sich 1884 in einem Kriminalfall mit dem
Begriff "Gift" und formulierte in der Urteilsbegründung folgendes:
"Eine Substanz, welche lediglich durch ihre qualitative Beschaffenheit, unter allen
Umständen, geeignet wäre, die Gesundheit zu zerstören, existiert nicht. Die
gesundheitszerstörende Eigenschaft ist vielmehr stets eine relative, sie ist nicht bloß
von der Qualität, sondern auch von anderen Bedingungen, insbesondere von der
Quantität des beigebrachten Stoffes und von der körperlichen Beschaffenheit der
Person, welcher derselbe beigebracht worden, abhängig. Je nach Verschiedenheit
der in Frage kommenden Bedingungen kann derselbe Stoff bald als
gesundheitszerstörend, bald als nur gesundheitsschädlich, bald als durchaus
unschädlich, bald endlich als Heilmittel erscheinen." (Reichsgericht, 1884)
In der Fachliteratur findet man in der Regel Umschreibungen für eine "Giftigkeit" oder
synonym für eine "Toxizität". So wurde z. B. im "Fachlexikon Toxikologie" von Lohs et
al., 2009 festgestellt: "Die Giftigkeit eines chemischen Stoffes für den menschlichen
oder tierischen Organismus wird von verschiedenen Faktoren bestimmt; unter
anderem sind dies Dosis, Ort der Wirkung, Applikationsform, Einwirkungszeit,
Umgebungsbedingungen, physische Verfassung des Organismus.".
Teuscher & Lindequist, 2010 gingen in sehr ausführlicher Weise auf biogene Gifte ein
und schrieben u. a.: "Die Gefährlichkeit einer giftigen Pflanze oder eines giftigen
Tieres für Menschen oder Tiere hängt nicht allein von der Toxizität der Inhaltsstoffe
ab, sondern wird in der Praxis in entscheidendem Maße von dem Grad ihrer
Zugänglichkeit für Mensch oder Nutztier bestimmt und davon, ob Anreiz zum Verzehr
bzw. zur Kontaktnahme besteht (toxikologische Relevanz).".
Peter R. Cheeke, 1997 stellte fest, dass bei einer bestimmten Dosierung
pharmakologische Eigenschaften von Toxinen (Giften), nützlich sein können, bei
höheren Konzentrationen jedoch giftig. Interessant sei auch, dass viele natürliche
Toxine giftiger Pflanzen tatsächlich medizinisch verwendet werden, insbesondere in
pflanzlichen Präparaten. Bei Toxinen handle es sich um Stoffe, die unter praktischen
Umständen den tierischen Stoffwechsel beeinträchtigen und in der Tierproduktion
negative biologische oder wirtschaftliche Auswirkungen haben können. Dies wäre
aber eine weit gefasste Definition, denn praktisch sei alles giftig, einschließlich
Sauerstoff, Wasser und alle Nährstoffe, wenn es nur in einer genügend großen Dosis
gegeben wird.
Frohne & Pfänder, 2005 merkten an, dass ältere Auflistungen ca. 750 biogene
Giftstoffe aufführen, die in über 1000 Pflanzenarten vorkommen würden, wobei die
Zahl der eigentlichen „Giftpflanzen“ aber wesentlich geringer sei. Unter diesem
Terminus seien solche zu verstehen: „die tatsächlich zu Intoxikationen von Menschen
und Tieren führen oder geführt haben. Nur bei einer kleinen Gruppe von Pflanzen ruft
schon die Ingestion geringer Mengen pflanzlichen Materials schwerwiegende
Intoxikationen hervor; die übrigen Pflanzen, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe als giftig
angesehen werden müssen, sind in der Regel weit weniger gefährlich und führen nur
unter bestimmten, nicht immer gegebenen Voraussetzungen zu einer Vergiftung. Bei
einer dritten Gruppe von "Giftpflanzen" schließlich, die herkömmlicherweise als
solche eingestuft werden, sind bisher weder definierte Giftstoffe noch einwandfrei
dokumentierte, schwerere Vergiftungsfälle bekannt.".
Der Duden, 2000 u. 2003 definiert die Giftpflanze als solche: „die einen giftigen Stoff
enthält, der bei Menschen u. Tieren eine schädliche, zerstörende, tödliche Wirkung
hat“. Dagegen sei eine Heilpflanze, die: „wegen ihres Gehaltes an pharmakologisch
wirksamen Alkaloiden, Glykosiden, ätherischen Ölen, Bitter-, Gerb-, Schleim- o. ä.
Wirkstoffen therapeutisch“ nutzbar ist.
Am Beispiel der Alkaloide wird bereits deutlich, dass pflanzliche Substanzen sowohl
als giftig wie auch als heilend angesehen werden können – es kommt eben auf den
Pflanzenstoff und die Dosis an. Viele Giftstoffe gehören zu den „Sekundären
Pflanzenstoffen“. Diese sind zwar für den Grundstoffwechsel der Pflanzen ohne
Bedeutung, erfüllen für sie aber viele wichtige Funktionen. Sie können z. B. als
Lockstoffe dienen, aber auch als Fraßschutz. Geruch, Geschmack oder Wirkung
sollen vom Verzehr durch Pflanzenfresser abhalten. Mit Hilfe von Duftstoffen warnen
sich z. B. Bäume untereinander über den Befall von Schädlingen, so dass Nachbarn
eines betroffenen Baums sich durch die rechtzeitige Bildung von Abwehrstoffen auf
diese vorbereiten können.
Der Begriff „Gift“ ist also recht unbestimmt und abhängig von einer Reihe von
Faktoren, die aber nicht immer für die gleiche Pflanze im gleichen Maß und für jedes
Individuum zutreffen.
Giftigkeit bzw. Toxizitätsgrad
Die Giftigkeit bzw. Toxizität eines Stoffes hängt von der Dosis (über eine Zeit) und der
Art der Aufnahme ab und wirkt verschieden auf Gewebe und Organe. Für den Grad
einer Toxizität existieren verschiedene Einstufungen, am bekanntesten ist sicher die
Aufstellung von Toxizitätsklassen von Hodge & Sterner, 1949.
Im Internet existiert die Schweizer Datenbank „CliniTox“, welche viele Informationen
über Giftstoffe und auch „Giftpflanzen“ liefert, die für Diskussionen gern genutzt
werden. Persönlich sehe ich diese Datenbank eher kritisch, weil sie nur stark verkürzt
Informationen bietet, deren Herkunft nicht immer ohne weiteres nachvollzogen
werden kann. Ohne entsprechendes Hintergrundwissen können diese auch
missbräuchlich genutzt werden. Ich werde mich in diesem Artikel aber auf deren
Einteilung des „Gefährlichkeitsgrads“ von Stoffen und Pflanzen stützen, weil sie ohne
Einschränkungen allgemein zugänglich ist. Ergänzt werden die Informationen von mir
durch solche aus der Fachliteratur in Bezug auf Pflanzengifte.
Tabelle 1: Gefährlichkeitsgrade, Auszug aus „CliniTox Giftpflanze: Erläuterungen:
Toxikologie“, CliniTox (Abruf 2018); erweitert um Beispiele
Es existieren dort noch weitere Abstufungen der Gefährlichkeitsgrade, an dieser
Stelle sind die aufgeführten aber erst einmal ausreichend. Die Angabe der jeweils
aufzunehmenden Pflanzenmengen ist mit „gering, klein, groß und massiv“ natürlich
äußerst vage.
Die Bestimmung der Toxizität eines Stoffes erfolgt in Tierexperimenten, vornehmlich
an Mäusen und Ratten. Dabei wird unterschieden, wie die Verabreichung des giftigen
Stoffes erfolgte. Angegeben werden die Verabreichungsform mit Abkürzungen, von
denen die wichtigsten folgendes bedeuten:
Tabelle 2: ausgewählte Abkürzungen für Applikationsformen von Substanzen
Abkürzung
Bedeutung
Erklärung
i. p.
intraperitoneal
Injektion in die Bauch- und Beckenhöhle
i. m.
intramuskulär
Injektion in einen Muskel
i. v.
intravenös
Injektion in eine Vene
p. i.
per inhalation
einatmen über die Lunge (als Gas)
p. o.
per os (peroral)
über den Mund (Schlundsonde; Futter)
s. c.
subkutan
Injektion unter die Haut
Die Bewertung der akuten Toxizität wird nach der jeweiligen Applikation der fraglichen
Substanz als „letale Dosis“ mit LD50 angegeben. LD50 bedeutet, dass nach einmaliger
Gabe der entsprechenden Dosis 50% der Tiere einer Population in einer bestimmten
Zeit sterben. Das heißt, bei dieser Angabe handelt es sich um einen Mittelwert und
nicht um den Wert für ein Individuum. Es soll noch einmal darauf hingewiesen
werden, dass, wenn nicht anders angegeben wird, immer die jeweilige, isolierte
Substanz verabreicht wird, also nicht etwa ganze Pflanzen. Pflanzliche „Giftstoffe“
verfügen oft über einen stark bitteren Geschmack, so dass eine Gabe über das Futter
nicht möglich ist, es sei denn, der Geschmack wird kaschiert.
Cumarine
Als ein Beispiel für „Gift“ sollen zunächst die „Cumarine“ insbesondere in Heracleum-
Arten (Bärenklau) dienen. Substanzen aus dieser Stoffgruppe sind u. a. für den
typischen Heugeruch verantwortlich, der durch das Absterben von Pflanzenzellen und
der damit verbundenen, chemischen Prozesse entsteht. In der GESTIS-
Stoffdatenbank, 2018 findet man zu Cumarin die folgende Information: „Von dem Stoff
gehen akute oder chronische Gesundheitsgefahren aus“. Das klingt nicht gut und
man fragt sich natürlich, ob denn nun Heu für Tiere eine akute Gefahr darstellen
kann. Immerhin soll es nach Meinung nicht weniger die Grundnahrung des
Hauskaninchens bilden und wird gar als „Brot des Kaninchens“ bezeichnet (Krause,
1981).
Entsprechend ihrer Struktur lassen sich Cumarine einteilen in
a) einfache Cumarine,
b) Furanocumarine,
c) Pyranocumarine oder
d) Pyronring-substituierte Cumarine und ihre hydroxylierten, alkoxylierten und
alkylierten Derivate sowie deren Glykoside.
Furanocumarine werden unterteilt in einen linearen Typ, allgemein bekannt als
Psoralen-Typ und einen angulären, bekannt als Angelicin-Typ. Zum Psoralen-Typ
gehören Psoralen, Bergapten, Xanthotoxin, Isopimpinellin und Imperatorin und zum
Angelicin-Typ Angelicin, Pimpinellin, Isobergapten und Sphondin. Die Stoffe dienen
der Pflanze u. a. nach einer Infektion durch Bakterien oder Pilzen als Abwehrstoff, um
deren Ausbreitung, Wachstum oder Vermehrung in der Pflanze zu unterbinden. Unter
Einwirkung von Sonnenlicht (UVA- und UVB-Strahlung) werden Furanocumarine
aktiviert und entfalten ihre phototoxische Wirkung. Das heißt, diese Wirkung ist durch
den Kontakt mit dem Pflanzensaft und gleichzeitiger Einwirkung von Sonnenlicht
gegeben, bei Abwesenheit von UV-Strahlung ist die akute Toxizität der
Furanocumarine gering. „Die Erwähnung von Heracleum sphondylium als Giftpflanze
in der Literatur geht auf den Gehalt an Furocumarinen in allen Pflanzenteilen zurück.
Sie lösen durch Kontakt mit der Haut bei gleichzeitiger oder nachfolgender
Einwirkung von Sonnenlicht eine phototoxische Dermatitis aus, die sich in einem
zunächst brennenden und juckenden Erythem äußert, das sich im weiteren Verlauf zu
einer Dermatitis mit Juckreiz und Rötung entwickelt und langandauernde
Hyperpigmentierungen der Haut hinterlässt.“ (Teuscher und Lindequist, 2010).
Furanocumarine sind vor allem in Doldengewächsen (Apiaceae) in jeweils
verschiedenen Konzentrationen zu finden, so z. B. in Liebstöckel (auch Maggi-Kraut,
(Levisticum officinale)), Pastinake (Pastinaca sativa), Engelwurz (Angelica sylvestris),
Sellerie (Apium graveolens), Petersilie (Petroselinum crispum), Riesen-Bärenklau
(Heracleum mantegazzianum) und Wiesen-Bärenklau (Heracleum sphondylium). Je
nach Pflanzenteil (Wurzel, Stängel, Blatt) sind die Konzentrationen der
Furanocumarine sehr unterschiedlich.
Tabelle 3: Furanocumaringehalte in verschieden Pflanzen und deren Bestandteilen, in
%; aus Teuscher & Lindequist, 2010 und 1) Blaschek, et al., 2013; k. A. = keine
Angabe
Wurzel
Stängel1)
Blatt
Blüte
Frucht
Riesen-Bärenklau
(Heracleum mantegazzianum)
0,6-1,2
0,05
0,3
0,3
3,3
Wiesen-Bärenklau
(Heracleum sphondylium)
1,0-1,9
k. A.
0,5-0,6
0,5
0,02-0,60
Echter Pastinak
(Pastinaca sativa)
0,1-0,2
k. A.
0,4
0,9
0,2-1,1
Echter Sellerie
(Apium graveolens)
0,4
k. A.
0,2
0,4
0,1-0,2
Betrachtet man die Furanocumaringehalte in den für Kaninchen interessanten
Bestandteilen der jeweiligen Pflanzen, nämlich den Blättern, lassen sich nur geringe
Unterschiede feststellen. Auffällig ist nur der Gehalt in den Früchten des Riesen-
Bärenklaus – er liegt deutlich über dem der Vergleichsarten. Zudem sind die
phototoxischen Substanzen in den Früchten konzentriert.
Informiert man sich bei „CliniTox“ über den Riesen-Bärenklau, findet man dort die
meisten Angaben zur Toxizität aus Teuscher & Lindequist, 2010 zitiert. Dort wiederum
wird u. a. folgendes geschrieben: „Furocumarine wirken fototoxisch […] Von
Hautschäden, die durch den Riesen-Bärenklau ausgelöst werden sind besonders
Kinder, die aus den Stängeln Blasrohre oder Stöcke zum Fechten schneiden, sowie
Gärtner betroffen, die mit nacktem Oberkörper oder kurzen Hosen die Pflanzen roden
und transportieren.“ Obwohl die Wirkung fototoxisch ist, also im Zusammenhang mit
Sonnenlicht Hautschäden verursacht, wird auch ein LD50-Wert angegeben: 300-600
mg/kg Körpergewicht Xanthotoxin und Imperatorin (p. o., oder i. p.). Wohlgemerkt
bezieht sich der LD50-Wert nicht auf Pflanzen, sondern auf die aus ihnen isolierten
Pflanzenstoffe. Deshalb gibt es auch in der Datenbank „CliniTox“ für die Toxizität
keinen direkten Bezug auf eine Pflanze, sondern es heißt unter dem Punkt
„Veterinärtoxikologie“ ganz allgemein „Angelica sp. / Heracleum sp.“.
Das heißt, die aus der Pflanze isolierten Stoffe Xanthotoxin und Imperatorin können in
der angegebenen Menge bei 50% der Tiere einer Labormaus- oder Rattenpopulation
zum Tod führen, wenn ihnen diese über eine Schlundsonde oder per Injektion in die
Bauchhöhle verabreicht werden. Das hat mit der Realität, also dem Fressen frischer,
wasserhaltiger Wiesenpflanzen nicht einmal annähernd etwas zu tun.
Bärenklau – Gift-, Heil- oder Futterpflanze?
Giftpflanze?
Mit den Angaben der Toxizität kann man den LD50-Wert von 300-600 mg/kg
Xanthotoxin auf die Menge von z. B. Riesen-Bärenklaublättern umrechnen, um zu
ermitteln, welche denn für ein Tier tödlich sein könnte. Für die niedrigste Dosis
Xanthotoxin von 300 mg/kg müsste ein Kaninchen mit einem Körpergewicht von 2 kg
demgemäß rund 2,1 kg Riesen-Bärenklaublätter fressen – also ziemlich genau so
viel, wie es selber wiegt. Das reicht aber nicht wirklich, weil in Versuchen die Mengen
der betreffenden und isolierten Stoffe konzentriert in kurzer Zeit verabreicht werden.
Das entspricht nicht der Aufnahme des Stoffes mit der natürlichen Pflanze, weil diese
über eine bestimmte Zeit gefressen werden muss und die Stoffe darin nicht isoliert,
sondern immer im Verbund mit anderen Substanzen vorkommt. Während der
Aufnahme werden die Stoffe metabolisiert (um- und abgebaut) und können gar nicht
konzentriert den Körper schädigen, wie eine einmalige Gabe des isolierten Stoffes –
zumindest nicht in der toxischen Menge wie im Beispiel des Riesen-Bärenklaus. Die
Ausscheidung der Metabolite der Furanocumarine erfolgt effektiv über den Urin
(Teuscher & Lindequist, 2010).
Heilpflanze?
PUVA steht für „Psoralen und UV-A“. Dabei handelt es sich um eine Therapie bei
Hauterkrankungen wie Schuppenflechte, Neurodermitis oder Vitiligo
(Weißfleckenkrankheit). Dabei kommt auch Methoxsalen zum Einsatz - ein anderer
Name für Xanthotoxin.
Das Werk von Dioskurides, dem griechischen Arzt und berühmtesten Pharmakologen
des Altertums, "De materia medica", welches zwischen 60-78 nach der Geburt von
Christus verfasst wurde, enthielt u. a. auch Beschreibungen des Einsatzes von
Bärenklau bei krampfartigen Beschwerden wie „Mutterkrampf“ (krampfartiges
Zusammenziehung des Muttermundes während der Geburt) und „Epilepsie“.
Der Einsatz der Furanocumarine (bzw. der Pflanzen, die solche enthalten) tauchte in
verschiedenen Kräuterbüchern über die Jahrhunderte immer wieder auf. So führte z.
B. Matthioli, 1590 in seinem „Kreutterbuch“ für eine innere Anwendung u. a. den
„Teutschen Berenklaw“ auf, weil er: „zertheilet und heilt die Fallsucht“.
„Fallsucht“ war im Deutschen über Jahrhunderte ein Begriff für eine Krankheit, die
heute „Epilepsie“ genannt wird. Bestimmte, mögliche Formen dieser Erkrankung
werden von „Konvulsionen“ begleitet, die auch tonisch-klonische Krampfanfälle
genannt werden. Dabei handelt es sich um Krämpfe der Körpermuskulatur, die oft mit
einem Bewusstseinsverlust verbunden sind. Die französische Bezeichnung für diese
Form lautet „Grand-mal“. Andere Beschreibungen sind z. B. „zerebrales Anfallsleiden“
oder „zerebrales Krampfleiden“, also Erkrankungen, die Funktionen des Gehirns
betreffen und durch den Organismus nicht steuerbar sind. Diese paroxysmalen
(anfallartigen) Funktionsstörungen des Gehirns werden durch exzessive Entladungen
von Neuronen verursacht (Pschyrembel, 2002). Als Auslöser für die Krankheit
kommen verschiedene äußere und innere Faktoren in Betracht:
•
Hirnerkrankungen (Fehlbildungen, erbliche Störungen mit Fehlbildungen im
Bereich der Haut und des Nervensystems, Trauma, Blutungen, Entzündungen,
Tumore)
•
Infektion des Gehirns (Enzephalitis) mit verschiedensten Erregern wie Viren,
Bakterien oder Protozoen (z. B. Toxoplasmose, Anaplasmose,
Wurmerkrankungen etc.)
•
Stoffwechselkrankheiten,
•
Mitochondropathien. Mitochondrien sind Zellorganellen, die für die Bereitstellung
von Energie in Körperzellen in Form von ATP (Adenosintriphosphat) zuständig
sind.
So genannte „Antiepileptika“ (Antikonvulsiva) enthalten z. B. den synthetischen
Wirkstoff „Valproinsäure“, der über die gleiche Wirkung wie bestimmte
Furanocumarine verfügt. Für die antiepileptische Wirkung wird u. a. die Blockade von
erregenden Ionenkanälen (spannungsabhängige Natrium- und Calcium-Kanäle)
sowie eine Verstärkung der Wirkung des hemmenden Neurotransmitters GABA
(englisch: gamma-Aminobutyric acid) angenommen. Antikonvulsiva heilen also die
Krankheit nicht, sondern lindern die Symptome, indem sie die überschießende
Reaktion von Neuronen im Gehirn abschwächen. In Tierversuchen wurden diese
Wirkungen z. B. für Xanthotoxin und Imperatorin, also Inhaltsstoffen des Bärenklaus
nachgewiesen (Tosun et al., 2008; Łuszczki et al., 2010).
Erfahrungen haben gezeigt, dass Kaninchen, die an „Encephalitozoonose“ (EC)
erkrankt waren und denen Bärenklau angeboten wurde, diesen in auffällig großen
Mengen fraßen und gegenüber anderen Nahrungspflanzen deutlich bevorzugten
(Rühle & Stieß, 2010). Die Krankheit wird durch den parasitär lebenden Einzeller
„Encephalitozoon cuniculi“ verursacht. Betroffene Tiere zeigen typische,
neurologische Ausfallerscheinungen wie Schiefhals (Torticollis), Augenzittern
(Nystagmus), Koordinationsstörungen (Ataxie), Lähmungen und Krämpfe. Vor allem
die Anzahl der Krämpfe wie auch deren Heftigkeit konnten durch die Gabe von
großen Mengen (ad libitum) Bärenklau in einigen Fällen deutlich verringert werden.
Die Ursache für EC ist einerseits natürlich der Befall mit dem Erreger, aber zum
Ausbruch der Krankheit kommt es in der Regel nur bei immungeschwächten Tieren.
Eine Übersicht der Literatur zu Encephalitozoon-cuniculi-Antikörperprävalenzen in
verschiedenen Regionen und Populationen sowohl von Wild- wie auch
Hauskaninchen weltweit bietet die Dissertation von Flock, 2010 (Tabelle 3, Seite 15).
Nahrungspflanze?
Unter dem Stichwort "Acanthus Germanicus" schrieb bereits der Naturwissenschaftler
und Arzt Johann Georg Krünitz in seiner „Oekonomischen Encyklopädie“, 1773-1885
über den "teutschen Bärenklau": "Die Kaninchen sind sehr begierig nach den
Blättern" bzw. dass sie "von den Kaninchen geliebt" werden.
Von dem Autorenkollektiv um Klapp, et al. 1953 wurden so genannte
„Futterwertzahlen“ für Pflanzen des Grünlandes erstellt. Die Bewertung erfolgte nach
10 Wertklassen: „Die höchste Wertzahl 8 erhielten nur die jederzeit und in jeder Form
hochwertigsten Arten, die Wertzahl 0 gilt für Arten ohne jeden Futterwert, bzw. solche,
die vom Vieh nicht angerührt werden, wie manche Disteln, Hauhechel, Ginster,
Heidekraut usw., während alle Giftpflanzen die Wertzahl -1 erhielten.“ In der
Aufstellung von 273 Pflanzen ist auch der Wiesen-Bärenklau mit einer Wertzahl von 5
vertreten – ebenso wie z. B. der Löwenzahn, der ebenfalls eine Wertzahl von 5
aufweist. Das heißt, beide Pflanzen sind in ihrem Wert für Pflanzenfresser gleich. Die
höchste Wertzahl von 8 erhielten z. B. Weißklee (Trifolium repens) und das Deutsche
Weidelgras (Lolium perenne).
Heinz Zimmermann beschrieb 1966 den Anbau von Bärenklau (Heracleum
sosnowski) als wertvolle Futterpflanze in der UDSSR und DDR und gab auch Gehalte
für die Rohnährstoffe an.
Tabelle 4: Rohnährstoffe und Mineraliengehalte für Bärenklau (Heracleum
sosnowskyi) in % der Trockenmasse; aus Zimmermann, 1966 (unberegnet);
Verdauliche Energie errechnet nach GfE, 2014
Blatt
Stängel
Trockensubstanz
15,3
7,6
Rohprotein
25,6
12,1
Rohfett
3,74
3,82
Rohfaser
19,4
23,8
NfE
32,6
32,6
Rohasche
18,7
27,7
Kalium
5,25
7,10
Phosphor
0,47
0,47
Magnesium
0,36
0,19
Calcium
1,52
1,63
Verdauliche Energie DE MJ/kg TS
9,3
6,6
Interessant ist schließlich noch die Zitierung in der Datenbank CliniTox, 2018 von
Dietl, W. & Jorquera, 2003 zum futterbaulichen Wert des Wiesen-Bärenklau: „Blätter
wertvoll, reich an Energie, Eiweiß und Mineralstoffen, gut verdaulich; Stängel hart,
geringwertig; in Anteilen von 10-15% gut geeignet zur Silage- und
Mähweidennutzung, hohe Bröckelverluste bei der Heuwerbung“.
Das heißt, in der gleichen Datenbank, die den Bärenklau als „giftig“ bezeichnet,
werden positive Angaben für den Anbau als Futterpflanze zitiert.
Zusammenfassung
Viele Nahrungspflanzen des Kaninchens gelten aus Sicht des Menschen als giftig.
Für manche trifft das zwar auch für das Kaninchen zu, dabei muss jedoch
berücksichtigt werden, in welchen Mengen bestimmte Pflanzen aufgenommen
werden müssen, um einen toxischen Effekt auszulösen. LD50-Werte für die akute
Toxizität sind dabei selten hilfreich, weil diese in der Regel an Ratten oder Mäusen
ermittelt werden und hierfür die betreffenden, isolierten Pflanzenstoffe in einer Form
und Zeit verabreicht werden, die mit einer natürlichen Nahrungsaufnahme nicht
vergleichbar sind. Im Fall des Bärenklaus gelten bestimmte Substanzen als
phototoxisch, verursachen also in Verbindung mit UV- Strahlung Schäden auf der
Haut. Für Vergiftungen, insbesondere bei Kaninchen, existieren in der Literatur keine
Angaben. Dagegen finden sich Belege für den Einsatz als Futterpflanze und im
Altertum als Heilpflanze bei bestimmten Erkrankungen. Versuche zeigten in den
letzten Jahren, dass bestimmte Wirkungen wie zum Beispiel „krampflösend“
(antikonvulsiv) auf Furanocumarine als Inhaltsstoffe des Bärenklaus zurückzuführen
sind und diese mit medizinischen Antikonvulsiva (Antiepileptika) wie dem Wirkstoff
Valproinsäure vergleichbar sind. Xanthotoxin als Furanocumarin des Psoralen-Typs
wird unter dem Namen Methoxsalen medizinisch bei bestimmten Hauterkrankungen
eingesetzt.
Seit vielen Jahren wird von mir Bärenklau als Kaninchenfutter empfohlen,
insbesondere bei Tieren, die an Encephalitozoonose (EC) erkrankt waren. In einigen
Fällen konnten damit Verbesserungen im Anfallsgeschehen erreicht werden. Diese
Fälle sind nicht wissenschaftlich begleitet und dokumentiert worden. Getrockneter
Bärenklau eignet sich auch als hervorragend als Winterfutter (Heu), wobei die
Trocknung vorsichtig und ohne großen mechanischen Aufwand erfolgen sollte, weil
die Blätter sehr leicht zerbröseln. Wenn möglich, sollten die Blätter von den Stängeln
getrennt werden, weil diese auf Grund des hohen Wassergehaltes sehr langsam
trocknen.
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2022